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Freitag, 29. September 2006

Bush ignorierte frühe Warnung vor Irak-Kollaps


Das Weiße Haus hat nach dem Irak-Krieg ihre eigenen Spitzenberater ignoriert, die vor Dauer-Terror in dem Land warnten. Das enthüllt jetzt der Star-Reporter Bob Woodward - und beschreibt in seinem neuen Buch die Regierung Bush als zutiefst von Machtintrigen zersetzt.

Washington - Bob Woodward kennt die Regierung Bush wie kaum ein Reporter. Zwei kenntnis- und detailreiche Bücher hatte der legendäre Mit-Enthüller des "Watergate"-Skandals seit dem 11. September 2001 schon geschrieben: über den Präsidenten, seine Minister, seine Anti-Terror-Politik, den Irak-Krieg. Die Regierung gab ihm privilegierten Zugang für die Recherche, manchen Vorwurf musste sich Woodward darum gefallen lassen - jetzt aber folgt das dritte Buch, und es wird der Regierung nicht gefallen. "State Of Denial" heißt es, was in dem Zusammenhang am besten mit "Realitätsverweigerung" zu übersetzen ist.

Journalist Woodward: Düsteres Bild von Bushs Regierung auf 537 Seiten

Woodward hat recherchiert, dass Bush und seine Führungsriege im Weißen Haus nach dem Irak-Krieg frühe Warnungen von Experten und Militärs über die Sicherheitslage im Irak missachtet haben. Die "New York Times" hat das Buch des "Washington Post"-Reporters schon zu sehen bekommen, sie fasst es so zusammen: Woodward zeichnet auf 537 Seiten ein düsteres Bild der Regierung Bush. Und das kurz

vor den Kongresswahlen im November, bei denen es für Bushs Republikaner knapp werden dürfte.

In seinen Büchern "Bush at War" (2002) und "Plan of Attack" (2004) schilderte Woodward die Lage so, dass die politische Führung in Washington einfach überzeugt sei von der Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak. Trotz mancher Differenzen im Detail habe Bush ein geschlossenes Team um sich versammelt. Jetzt enthüllt er anhand neuer Recherchen bei Dutzenden Informanten inner- und außerhalb der Regierung, wie sich die Lage nach dem Krieg verändert hat: Ränkespiele, Misstrauen und Realitätsferne - die US-Regierung hat sich über die Frage Irak verkracht. Bush und sein Stellvertreter Cheney ließen sich diesmal nicht interviewen, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dagegen schon.

Warnungen zu Irak blieben unbeantwortet

Woodwards schwerster Vorwurf: Die Regierung habe frühe Warnungen schon im September 2003 über die Risiken im Irak missachtet. Den Vorabberichten zufolge alarmierten kurz nach dem Krieg Robert D. Black und Paul Bremer die damalige Sicherheitsberaterin des Präsidenten und heutige Außenministerin Condoleezza Rice. Black war Irak-Beauftragter der Regierung, Bremer Chef-Zivilverwalter im Land - also die beiden Spitzenvertreter der USA im Irak. Über eine abhörsichere Telefonleitung verlangten sie mehr Soldaten im Land: Der Druck im Irak wachse. Black soll die dringende Bitte um Verstärkung sogar in einem "länglichen Memorandum" an Rice geschickt haben - mit der Forderung nach bis zu 40.000 zusätzlichen Soldaten. Grund der Klage: Die Situation im Land eskaliere, der Aufstand gegen die US-Truppen wachse täglich.

Nach Woodwards Recherchen blieb dieser Hilferuf ohne Antwort. Rice reagierte nicht. US-Präsident Bush wird mit den Worten vom November 2005 zitiert: "Ich will nicht, dass irgendjemand aus dem Kabinett davon spricht, dass es sich einen Aufstand handelt. Ich glaube, wir sind noch nicht an diesem Punkt."

Andere in der Regierung erkannten Woodward zufolge zwar die Brisanz des zunehmenden Terrors im Irak - reagierten aber nicht. Pentagon und CIA fanden keine Antwort auf die Guerilla-Taktik der Aufständischen. CIA-Chef George Tenet soll seine Ratlosigkeit sogar bei mehreren Treffen mit Sicherheitsexperten der Regierung eingestanden haben.

Powell forderte Rumsfelds Rücktritt

So einig die Vertreter der Regierung Bush in der Öffentlichkeit schienen - hinter den Kulissen spielten sich nach Woodwards Recherchen Dramen ab. Verteidiungsminister Rumsfeld überwarf sich nach dem Krieg mit Condoleezza Rice. Diese hatte ihm die Zuständigkeit für Besatzung und Wiederaufbau entzogen. Der geschwächte Rumsfeld verzieh ihr das nicht. Bush musste den Minister offenbar sogar einmal persönlich auffordern, einer Bitte von Rice um einen Rückruf am Telefon zu folgen.

Als Außenminister Colin Powell 2004 aus dem Amt schied, machte er gegen Donald Rumsfeld Stimmung. "Wenn ich gehe, sollte Don auch gehen", so zitiert Woodward aus dessen Gespräch mit Andrew Card, dem Stabschef des Weißen Hauses.

Card soll dann einige Wochen lang versucht haben, Rumsfeld zu Ende 2005 aus dem Amt zu drängen. Er scheiterte an Bush - der fürchtete, dass Rumsfelds Abgang die Arbeit des Verteidigungsministerium und die nahen Wahlen im Irak gefährden könnte.

Geheimdiensthinweise vor dem 11. September ignoriert

Rumsfeld stand allerdings weiter in der Kritik, auch im Militär. Woodward zitiert John Abizaid, Kommandat des Irak-Einsatzes: Im Herbst 2005 soll er gesagt haben, Rumsfeld habe "keinerlei Glaubwürdigkeit mehr", eine Siegesstrategie für das Land zu entwerfen.

In dem Buch weist Woodward auch nach, dass es an der Spitze der Regierung Bush schon bald nach ihrem Amtsantritt Spannungen gab - und gerade auch vor dem 11. September 2001. CIA-Chef Tenet soll damals zu der Überzeugung gekommen sein, dass Rumsfeld bei der Entwicklung einer Strategie für die Jagd auf Osama Bin Laden bremse.

Rumsfeld soll Geheimdiensthinweise als mögliche Täuschungsversuche der al-Qaida abgetan haben. Im Juli 2001 hätten Tenet und sein Anti-Terror-Chef J. Cofer Black Rice getroffen, um sie zu überzeugen, dass es ernsthafte Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag gebe. Beide hätten das Treffen mit dem Gefühl verlassen, dass Rice die Warnung nicht ernst nahm.

Vater Bush sorgte sich vor dem Irak-Krieg

Als ein gutes Jahr später der Irak-Krieg nahte, gingen Risse offenbar auch durch Bushs Familie. Die Eltern des US-Präsidenten hatten Woodward zufolge wenig Vertrauen in eine Invasion im Irak. Der Reporter beschreibt ein Treffen zwischen Mutter Barbara und dem Chef des Geheimdienstausschusses im Senat. Barbara Bush soll gefragt haben, ob es richtig sei, sich über den geplanten Einmarsch Sorgen zu machen. Ex-Präsident George Bush senior, der Vater des jetzigen Präsidenten, sei "sicherlich besorgt", sagte sie, "er kann kaum schlafen, er steht nachts auf und macht sich Sorgen".

Wie wenig Sorgen sich die Regierung Bush um die Friedenssicherung im Irak nach einem gewonnenen Krieg machte, beschreibt Woodward in einer Passage über Jay Garner. Er war vor Bremer der erste Irak-Verwalter der USA. Er hielt Anfang 2003 eine Powerpoint-Präsentation über den Wiederaufbau des Landes mit 300.000 Soldaten - eine Zahl, die nie erreicht wurde. Niemand in der Runde fragte groß nach, nicht Bush und auch keiner der anderen Anwesenden.

Cheneys intensive Suche nach Massenvernichtungswaffen

Woodward beschäftigt sich besonders auch mit Vizepräsident Cheney: Er habe verbissen nach Beweisen gesucht, dass seine Behauptungen über Massenvernichtungswaffen im Irak richtig waren, so fasst es die "New York Times" zusammen. Seine Helfer sollen nach Kriegsende im Mai 2003 US-Chefwaffeninspektor David Kay unter Druck gesetzt haben, endlich Beweise zu liefern. Ihm wurden Satellitenkoordinaten zugespielt worden sein - an den angegebenen Orten wurde nichts gefunden. Die Regierung Bush hatte in den Wochen vor dem Krieg stets argumentiert, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen.

Woodward schildert, wie intensiv sich Cheney darum kümmerte: So ließ der Vizepräsident Kay nachts um drei anrufen, um nachzufragen, ob er ein Sicherheitsdokument aus Syrien gelesen habe. Kay selbst glaubte nicht daran, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besessen hatte. Doch von CIA-Vizedirektor John McLaughlin wurde er Woodward zufolge gewarnt: "Erzählen Sie das bloß keinem. Das könnte Aufsehen erregen. Seien Sie sehr vorsichtig. Wir können das nicht rauslassen, bis wir sicher sind."


 

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