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Sonntag, 13. Juli 2008

Endstation Miami


Ein UBS-Manager als Gefangener des US-Rechtsdschungels

Er wollte eigentlich gar nie in die USA, wurde dort aber beim Umsteigen verhaftet. Der UBS-Manager und fünffache Vater Martin Liechti wird seit mehr als zwei Monaten in den USA festgehalten, mit einer elektronischen Fussfessel. Eine Anklage gegen ihn liegt nicht vor. US-Anwälte schütteln den Kopf.

Markus Städeli

Martin Liechti ist stolzer Vater von Drillingen. Dazu kommen zwei Kinder aus früherer Ehe. Doch seinen Nachwuchs hat der 47-jährige UBS-Manager schon lange nicht mehr in die Arme schliessen können. Seit Anfang Mai wird er von den US-Behörden in Florida festgehalten, wo er eigentlich gar nie hinwollte – er wurde beim Umsteigen in Miami verhaftet.

Er sei zu einer Verwaltungsratssitzung der UBS Bahamas unterwegs gewesen, wird kolportiert. Doch seit den Terroranschlägen von 9/11 gibt es auf den amerikanischen Flughäfen keinen Transit mehr, auch Weiterreisende müssen durch die Passkontrolle.

Nun sitzt Liechti im amerikanischen Sonnenstaat mit einer elektronischen Fussfessel – sie sieht aus wie ein Armband – in einem Hotel fest. Seinen Pass musste er abgeben. Ein Redaktor des «Miami Herald» vermutet ihn im «Intercontinental» im Zentrum Miamis. Die Hotelverwaltung verweigert allerdings jede Auskunft.

Liechti kann sich nach Aussagen der Schweizer Botschaft in Washington zwar frei bewegen, «möglicherweise aber nur in einem Bezirk». «Wir stehen in Kontakt mit der betroffenen Person. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut», sagt Emilija Georgieva, Mediensprecherin der Schweizer Botschaft.

Liechtis Frau kann ihren Ehemann nicht besuchen – wohl weil sie Gefahr laufen könnte, ebenfalls festgenommen zu werden. Denn Frau Liechti arbeitet als Teilzeitangestellte ebenfalls bei der UBS – beim gemeinsamen Arbeitgeber haben sich die beiden kennengelernt. Offenbar aus juristischen Überlegungen ist Liechti auch von seinen 1500 Untergebenen abgeschnitten.

Kafkaesker Rechtsstatus

Liechti wird als «Material witness» festgehalten. Der Intel-Vizepräsident Steven McGeady hat diesen rechtlichen Status einst öffentlich mit «Alice im Wunderland trifft Franz Kafka» umschrieben. Dies, nachdem einer seiner Angestellten mit palästinensischen Wurzeln unter Terrorverdacht mehrere Wochen ohne Anklage festgehalten worden war.

«Angesichts der möglichen Bedeutung der betroffenen Person für die Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der laufenden Untersuchung ist das Vorgehen der US-Behörden aus unserer Sicht legal», sagt Georgieva von der Schweizer Botschaft. Doch selbst US-Anwälte äussern sich weniger verständnisvoll. «Es erinnert an Guantánamo, wenn Menschen ohne Anklage festgehalten werden», sagt Kevin Packman, Anwalt bei Holland & Knight LLP in Miami.

Vor allem die Zeitdauer der Massnahme von bereits mehr als zwei Monaten sei ungewöhnlich, sagt Alan Weisberg, von der Kanzlei Weisberg und Kainen in Miami. Das vergleichbar harte Vorgehen der Behörden zeigt, welche Bedeutung Amerika Steuerdelikten zumisst.

«In den USA gibt es einen Zwischenstatus zwischen Zeuge und Beschuldigtem, eine bewusste Grauzone», sagt Niklaus Schmid, emeritierter Strafrechtsprofessor. «Das widerspricht dem kontinentaleuropäischen Verständnis eines fairen Staatsprozesses». In amerikanischen Prozessen sei halt auch nicht immer klar, wer das Verfahren führe und gegen wen es sich richte.

Es kann allerdings sein, dass sich Liechti beziehungsweise die UBS nicht gegen den «Material witness»-Status wehren, weil die Alternative wenig verlockend wäre: die sofortige Anklage und eine damit verbundene Untersuchungshaft.

In die Bredouille gebracht hat Liechti dessen früherer Mitarbeiter Bradley Birkenfeld. Dieser wiederum wurde vom Milliardär und UBS-Kunden Igor Olenicoff belastet, der sich des Steuerbetrugs schuldig bekannt hat. Birkenfeld, der in Florida angeklagt ist, singt wie ein Kanarienvogel.

Er hat vor Gericht unter anderem behauptet, von Vorgesetzten zu illegalen Transaktionen und Verschleierungen animiert worden zu sein. Verantwortliche der Bank hätten ihn und andere gezielt ausgebildet, das US-Recht auszuhebeln, hat Birkenfeld erklärt.

Wenn dies zuträfe, sässe Liechti tief in der Tinte. Er ist als Leiter des «internationalen» Amerika-Geschäfts nicht nur für Lateinamerika und Kanada verantwortlich, sondern auch für das sogenannte Offshore-Geschäft mit US-Bürgern. Also für all jene amerikanischen Kunden, die von ausserhalb der USA betreut werden.

Als Chef dieser Abteilung muss Liechti die wichtigsten Kunden persönlich kennen, so zumindest sehen das die UBS-internen Vorschriften vor. Auch die besonders heiklen Kunden dürfte er getroffen oder überprüft haben. Denn welche Kundenbeziehungen seine Mitarbeiter eingehen und welche nicht, liegt primär in Liechtis Ermessen. Der UBS-Manager spricht neben den gängigen Fremdsprachen auch fliessend Spanisch und Portugiesisch, kann also mit allen Kunden in seinem geografischen Wirkungsfeld kommunizieren.

Dem Vernehmen nach hat Liechti intern nicht nur Freunde. Doch es ist wohl schwierig, rundum populär zu bleiben, wenn man die Karriereleiter bis in die erweiterte Konzernleitung einer Grossbank erklimmt. Liechti wird als emotionale Führungsfigur beschrieben. «Weil er auch Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft, ist er sicher kein Mainstream-Banker», sagt ein Kollege.

Wird er fallengelassen? Seine verunsicherten Mitarbeiter müssen nun die Kunden beruhigen. Doch gerade bei US-Klienten ist das wohl ein Ding der Unmöglichkeit. «Nicht regulierte» amerikanische Kunden können nicht mehr kontaktiert werden, solange sie sich in den USA befinden. Ausgeführt werden dürfen offenbar nur noch Zahlungsaufträge für diese Kunden.

In der Abteilung «Americas International» führen nun die Bankjuristen das Zepter. Intern wird hin und wieder darüber spekuliert, ob die UBS sich von Liechti distanziere. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. «Wenn sich Birkenfelds Anschuldigungen erhärten sollten, würde Liechti von der UBS fallengelassen wie eine heisse Kartoffel», sagt ein US-Rechtsexperte. Ob das der UBS etwas nützen würde, steht auf einem anderen Blatt.

Liechti ist Mitglied der erweiterten Konzernleitung. Bis zu einer Umstrukturierung im letzten November hat er direkt an Raoul Weil, Chef Vermögensverwaltung, rapportiert. Sollte es Anzeichen für systematische Beihilfe zu Steuerdelikten bis so weit hinauf in die UBS-Hierarchie geben, würde das die Bank sehr teuer zu stehen kommen. Mitarbeit: Sebastian Bräuer


 

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