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Montag, 8. September 2008

Bush stellt Kapitalismus auf den Kopf


Die Börse feiert die Verstaatlichung der US-Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac – dabei löst der Schritt kein einziges der akuten Probleme.

Von FOCUS-MONEY-Redakteur Markus Voss

Die Erkenntnis ist so alt wie die Volkswirtschaftslehre: Verstaatlichungen bringen den Kunden nichts. In Staatsunternehmen werden Gelder nicht dort eingesetzt, wo sie die höchste Wertschöpfung erbringen, sondern dort, wo sie die größte öffentliche Wirkung erzielen und Umfragewerte der beteiligten Politiker verbessern. Die Folgen sind immer wieder zu besichtigen: überquellende Verwaltungsapparate (erinnert sei an die frühere Deutsche Bundespost), zu hohe Preise (1998 kostete eine Minute Ferngespräch in Deutschland zwei Mark) und Missmanagement (IKB).

Banker ersetzt EisenbahnmanagerDer Bankensektor wartet immer wieder mit besonders abschreckenden Beispielen auf: Noch vor drei Jahren galten bis zu 90 Prozent der Kreditbücher der chinesischen Staatsbanken als ausfallgefährdet. Der Grund war, dass Kredite jahrelang nicht nach dem Kriterium der Bonität, sondern nach Parteizugehörigkeit vergeben wurden. Um diese Institute dennoch an die Börse bringen zu können, übernahm der Staat einen Teil der maroden Kredite. Damit wurde das Symptom – Kreditausfälle – behandelt. Das grundsätzliche Problem der Fehlallokation von Kapital aber bestand weiter.

Paulson imitiert die Planwirtschaft

Am Sonntag hat der amerikanische Finanzminister Hank Paulson einen Weg eingeschlagen, der dem chinesischen Vorgehen recht nahe kommt: Er hat die beiden Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac verstaatlicht. Damit garantiert nun der Staat dafür, dass die beiden Banken sich weiterhin günstig refinanzieren und ihren Kunden günstige Kreditzinsen offerieren können.

Die beiden halbstaatlichen Institute haben Kredite an Häuslebauer ausgegeben, die sich eine Immobilie eigentlich nicht leisten konnten. Der Unterschied zu China besteht darin, dass dies nicht auf politischen Druck geschah, sondern aus reiner Skrupellosigkeit und Geldgier. Es ging allein um Provisionen und Margen. Dass die Kredite niemals hätten vergeben werden dürfen, sollte im Wege der Verbriefung und Zerstückelung der Kreditportfolien in den Verästelungen des internationalen Kapitalmarkts untergehen.

Irrwitzige Summen, grandiose Risiken

Paulsons Schritt zeigt, wie ernst es um den Finanzmarkt wirklich bestellt ist. 5,2 Billionen Dollar umfassen die Hypothekenkredite von Fannie und Freddie, die Hälfte aller privaten Häuserkredite in den USA. Eine unvorstellbare Summe. Wären die beiden Banken nicht mehr in der Lage, diese Summen zu refinanzieren, würde ein weltweiter Dominoeffekt einsetzen, der das Finanzsystem aus seinen Angeln heben könnte.

Denn auch Fannie und Freddie haben sich am Kapitalmarkt refinanziert. Zu den Besitzern dieser vermeintlich sicheren Schuldscheine gehören alle größeren Banken der Welt. Sogar Zentralbanken sind darunter, allen voran die chinesische Zentralbank – angeblich mit mehreren Hundert Milliarden Dollar. Deren Gouverneur war der Erste, der Paulsons Entscheidung begrüßte. Beifall für die USA vom sozialistischen Klassenfeind! Wann hat es das zuletzt gegeben?

Irrationaler Kursanstieg

Solche Ereignisse sollten jeden Marktwirtschaftler stutzig machen. Doch was tut die Börse? Sie jubelt ebenfalls. Um mehr als acht Prozent legte heute allein das Papier der Deutschen Bank zu. Dabei verleiht das Team um Josef Ackermann gar keine Häuserkredite in den USA. Aber die Deutsche Bank gilt als einer der größten Finanziers von Hedge-Fonds. Die haben mit Papieren von Fannie und Freddie gezockt, deren Wert nun wieder steigen könnte. Damit erhöht sich für die Deutsche Bank die Chance, ihr verliehenes Geld wiederzusehen. Mehr nicht.

Tatsächlich löst Paulsons Zweck-Sozialismus kein einziges der aktuellen Probleme: Da ist zum einen der anhaltende Verfall der Immobilienpreise in den USA. Die Tatsache, dass dort selbst ein Verkauf der eigenen Immobilie nicht ausreicht, um den dafür aufgenommenen Kredit zu tilgen, gehört zu den gefährlichsten Brandherden dieser Krise. Dass Fannie und Freddie nun wieder in der Lage sein werden, angeschlagenen Häuslebauern beim Umschulden behilflich zu sein, bremst diesen Erdrutsch noch lange nicht.

Auch den ausgetrockneten Kredithandel belebt die Maßnahme nicht, denn hier geht es um alte, längst verbriefte Kredittranchen, die mit Fannie und Freddie wenig zu tun haben und deren Ausfallstatistiken sich erst einmal keinen Deut verbessern. Das Misstrauen der Banken untereinander, die Zweifel, was die Portfolios des anderen überhaupt noch wert sind, wird also anhalten.

Die Stunde der Zyniker

Und so zeigt sich auf den zweiten Blick eine ganz andere, zynische Seite der heutigen Kurshausse: Der Markt wittert mehr. Mit der Verstaatlichung hat die vermeintliche Hochburg des Kapitalismus ein Tabu gebrochen. Und die Börsianer wetten darauf, dass diese Rettungsaktion made in USA nicht die letzte war. Könnte die Fed unter Ben Bernanke nicht anfangen, selbst faule Hypothekenportfolios aufzukaufen? Könnten die USA mit Paulson für diese Papiere womöglich garantieren? Das würde den Bankenmarkt fürwahr entfesseln. Es würde die Finanzbranche auf einen Schlag von sämtlichen Risiken entlasten, die sie sich selbst eingebrockt hat.

Es ist ein Anachronismus, dass die USA ausgerechnet unter dem früheren Goldman-Sachs-Chef Hank Paulson solche planwirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen. Es ist ein Armutszeugnis, dass der erfahrene Banker es seiner Zunft offenbar nicht mehr zutraut, sich selbst aus dem Schlamassel zu kämpfen. Und es ist ganz bestimmt kein Grund, ausgerechnet am heutigen Tag Bankaktien zu kaufen.


 

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