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Marcosolo shortstory - Dschungelspaziergang in Ko Samui


Seit ich ihn das erste Mal erblickte, reizte es mich, diesen sich, östlich der Chaweng Beach, dicht mit Dschungel überwachsen, erhebenden Berg, der hier seit bald 2 Jahren meinen optischen Horizont gegen Osten hin bildet, und für die genaue Uhrzeit meiner Sonnenaufgänge mitbestimmend war, einmal selbst und mangels anderen Interessenten, eben auch ganz allein zu besteigen.

Keiner der um mich herum lebenden Insulaner konnte mir auf die Frage nach seinem Namen bisher eine befriedigende Antwort geben, da er für sie einfach nur ein Berg wie all die anderen aus der Bergkette ist, die sich zwischen Chaweng und Nathorn, der Hauptstadt der Insel, hinweg über die ganze Insel erhebt und deshalb von allen auf Thai einfach als Puu Kaau bezeichnet wird.

Etliche Male bereits schaute ich also schon sehnsüchtig dort hinauf und versuchte mir dabei immer wieder vorzustellen, wie atemberaubend die Aussicht von da oben auf die Chaweng Beach herunter wohl sein müsse. Sicher konnte man von der Krete aus ein paar sehr beeindruckende und noch nie gesehene Fotos machen.

Vor allem aber würde sich sonst kein anderer, normalsterblicher Farang dorthinauf begeben.

Zu gross ist normalerweise die unter uns Westlern weitverbreitete Angst vor Schlangen, vor dem mit dem Aufstieg durch den Dschungel und der Hitze verbundenen Strapazen, und zu klein der lockende Lohn, allein in Form dieses Ausblicks.

Ich hingegen war schon immer fasziniert von der Natur in den Tropen und fühle mich jedesmal, wenn ich die Bergkette betrachte, auf eine sonderbare Weise herausgefordert und beinahe magnetisch angezogen, wie vor langer Zeit Moses, bevor er den Berg bestieg, von welchem er schliesslich die 10 Gebote im alten Testament entgegennahm oder vielleicht Robinson, als dieser sich aufmachte, seine verlassene Insel von oben her zu erforschen.

Ausser, dass ich und Robinson im Gegensatz zu Moses wohl nur unserer eigenen inneren Stimme gehorchten, die uns da sagte, dass wir hinaufsteigen sollten. Dieser Ausflug bedeutet für mich eine Art Mutprobe. Ich will mir damit selbst beweisen, dass ich tatsächlich vor nichts und niemandem Angst habe. Der Gedanke, ganz allein dorthin unterwegs zu sein, ruft eine Mischung zwischen Angst und Lust hervor, ähnlich wie beim Bodysurfen mit sehr hohen Wellen oder das erste Mal auf dem Snowboard am Steilhang.

An mein Ziel führt aber leider weder eine Strasse noch ein Weg und ich zweige deshalb von der Hauptstrasse Mae Nam – Chaweng schon ziemlich früh an diesem Sonntagmorgen , um der gröbsten Mittags-Hitze entgehen zu können, links ab und lenke meine blau-weisse 150-er Honda NSR , die sich in diesem Gelände nicht so recht zu Hause fühlen will, in gemächlicher Fahrt entlang einem knapp 30 cm breiten Trampelpfad auf Sand, soweit, wie dies die Rennpneus und die generell tiefe Lage meines Töffs erlauben. Immer weiter in Richtung des vor mir liegenden, steil ansteigenden Hügels, beide Beine balancierend auf beide Seiten herausstreckend, um damit im Notfall einen Sturz so einfach wie möglich verhindern zu können.

Während der ersten 5 Minuten Fahrt sind noch überall deutliche Anzeichen der Zivilisation zu erkennen. Die mit ihren Blättern in etwa 10 bis 15 Metern Höhe eine Art Dach bildenden Kokospalmen schiessen so etwa alle 10 bis 12 Meter, schön kultiviert in Reih und Glied, aus der spärlichen, mit Sand durchzogenen Humusschicht und der nur ab und zu mit Gras bewachsene, ständig leicht ansteigende Boden, wird offensichtlich regelmässig von Menschenhand von heruntergefallenen Kokosnüssen, Palmblättern und anderen, wild wachsenden Pflanzen befreit, die zusammengesammelt und in mannshohen Haufen aufgeschichtet, gelegentlich einmal verbrannt werden.

Der dadurch in der Luft schwebende Geruch ist einzigartig und recht typisch für bewohnte, tropische Inseln mit vielen Kokospalmen.

Auf Ko Samui hat man , vor allem am frühen Morgen und abends, da die Einheimischen nie ein Feuer bei der glühenden Mittagshitze entfachen würden.

ständig eine würzige Mischung zwischen verbrannten Kokosnussschalen, -zweigen, moderndem Unterholz, Meeressalz, warmem Wind, Sand, Staub und Schweiss in der Nase.

Zu meinem Bedauern stosse ich vereinzelt auch auf ein paar negativere Anzeichen unserer Zivilisation. Selbst hier liegen ein paar achtlos weggeschmissene, zerbrochene Bier- und leergetrunkene Plastikwegwerfflaschen mitten in der Natur herum, die im Vergleich zur sonstigen Idylle in diesem noch nicht vom Tourismus heimgesuchten Teil der Insel total fremd und abstossend wirken.. Die Thais haben die konsequente Abfalltrennung noch nicht eingeführt und auch ich verspüre jetzt nicht die geringste Lust, diese Fremdlinge, wie im Film „The gods must be crazy“ von hier wieder wegzuschaffen und den weissen Göttern wieder zurückzubringen.

Ich folge dem mickrigen Rinnsal eines Baches, der in seinem viel zu imposanten Bachbeet auszutrocknen droht, noch weitere 200 Meter, begleitet von Libellen und Schmetterlingen, muss dort angekommen aber erkennen, dass es für zur Weiterfahrt mit meinem Töff an diesem Punkt definitiv Endstation ist. Der Trampelpfad entpuppt sich nämlich als Sackgasse und endet nach ein paar weiteren Kurven im dichtüberwachsenen, absolut unbegehbaren Dschungel.

Ich suche nach einer geeigneten Parkmöglichkeit und lasse kurz darauf mein Motorrad im Schatten eines mittelgrossen Teakbaums sein Gewicht auf den Seitenständer verlagern, drehe den Zündschlüssel ganz nach links, ziehe ihn raus und verstaue ihn wie immer, in meinem linken, vorderen Hosensack.

Das 2-Takt Motorengeräusch ist abrupt verstummt und die damit verbundene, plötzlich eintretende Stille wirkt auf mich beinahe lähmend , sogar fast ein bisschen erschreckend; war doch das unregelmässige Knattern meiner beiden Rennauspüffe bis vor kurzem, völlig unbewusst, mein letzter Begleiter gewesen.

Ich werde mir dafür plötzlich meiner Einsamkeit bewusst und fange schon an, ein wenig daran zu zweifeln, ob es wirklich eine meiner vernünftigeren Ideen gewesen war, diesen Trip heute morgen völlig ohne Begleitung anzutreten.

„Was kann dabei nicht alles geschehen? Niemand weiss, dass ich in dieser Gegend unterwegs bin. Falls mir hier in dieser Wildnis etwas zustösst, würde kein Mensch hier oben nach mir suchen.“

„Nur ja keinen Sturz und erst recht keine Verletzungen“, denke ich mir und bin nicht mehr so cool, wie noch kurz zuvor auf dem Töff, marschiere aber, zuerst noch ziemlich zaghaft, dann laut stampfend, um die Schlangen im Unterholz zu vertreiben, weiter drauflos.

Die hohe Luftfeuchtigkeit treibt mir, zusammen mit der sich nun langsam aber sicher entwickelnden Hitze den Schweiss aus allen Poren.

Ich glaube ja schliesslich nicht an Geister und bin fest davon überzeugt, mir diese und andere natürliche Gefahren (Skorpione etc.), durch richtiges Verhalten und frühzeitiges Entdecken, relativ einfach vom Leib halten zu können. Begleitet von solchen und ähnlichen Gedanken, halte ich beim weiteren Vorwärtspirschen sowohl stets Ausschau nach dem optimalsten Weg für den vor mir liegenden Aufstieg Richtung Gipfel, als auch nach allen möglichen natürlichen Feinden im Unterholz.

ko samui

Um mich herum jedoch gibt es nicht das Geringste, was mit einem Weg auch nur im entferntesten zu vergleichen wäre, nicht einmal einen Trampelpfad. Deshalb schleiche ich weiter unter tiefhängenden Aesten, zwischen dornigen Gebüschen hindurch und quer über ein paar kleine Wiesen.

Nach weiteren 30 Minuten Aufstieg muss ich mich dann aber durch noch dichteres Unterholz kämpfen und bedaure, das lange Buschmesser meines Gärtners nicht mitgenommen zu haben. Ich komme nur noch mühsam und langsam vorwärts. Obwohl ich bereits beträchtlich an Höhe gewonnen habe, gelingt es mir nur sehr selten, durch die allgegenwärtigen Baumkronen und Kokospalmblätter hindurch, den Ausblick aufs Meer und die Chaweng Beach herunter zu ergattern. Die Natur pur um mich herum raubt mir hier oben förmlich die Aussicht, auf die ich mich schon so lange gefreut habe. So what! Zuoberst werde ich hoffentlich doch noch mehr Glück damit haben, sonst werde ich nötigenfalls eben auf einen Baum klettern müssen.

Jedes Rascheln in den Blättern oder umliegenden Gebüschen, hatte mich zuvor jeweils aufgeschreckt und beinahe gleichzeitig in einen Zustand gesteigerter Wahrnehmung versetzt. Mit geweiteten Augen und bis in die letzte Faser gespannt, bereit, jeden Moment einen Satz zur Seite zu machen, versuchte ich dabei jedes Mal, die dazugehörende Geräuschquelle zu eruieren, um deren Verursacher entweder als harmlos oder gefährlich einstufen zu können. In den meisten Fällen handelte es sich aber bisher lediglich um ein paar Eidechsen oder Vögel, die aufgeschreckt durch mein plötzliches Eindringen in ihr Revier, fluchtartig das Weite suchten.

Doch plötzlich ertönt da, wie aus dem Nichts: „Chchkchchkchchk..........“,

ein unheimliches, Mark und Bein durchdringendes Geräusch, wie es meine Ohren im ganzen Leben noch nie vernommen haben und ich bleibe wie angewurzelt und versteinert, auf der Stelle stehen. Es klingt nicht nach einem Kratzen, sondern gleicht eher dem Schleif- und Knacklaut von etwas ziemlich schwerem, das langsam und regelmässig über den Boden geschleift und dabei noch hin und hergezerrt wird.

Der Ton, für den jede Geisterbahn ein Vermögen ausgeben würde, bricht ca

5 Sekunden später jedoch genauso abrupt, wie er sich nur kurz zuvor aus dem Nichts aufgebaut hatte, wieder ab. Ich atme einmal schwer durch, beginne vorsichtig, meine verkrampften Muskeln wieder zu entspannen und glaube schon, soeben einer akustischen Fata Morgana aufgelaufen zu sein, als erneut, unheimlich, unergründlich, unerklärlich und von meinem Verstand nicht einzuordnen,dieses entsetzliche „Chchkchchkchchk......“, diesmal eine Nuance leiser als soeben noch, ein zweites Mal meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt und mein Herz nochmals beinahe zum Erstarren bringt.

„Was ist denn das bloss?“ Frage ich mich entsetzt.“Fängt etwa als nächstes ein Busch hier in der Nähe Feuer?“

Das einzige, worüber ich mir im Moment noch völlig im Klaren bin, ist, dass so ein Laut unmöglich von Menschenhand erzeugt werden kann.

Mein Puls ist unterdessen bereits bei beinahe 120 angelangt und meine obere Magengegend scheint sich, neben dem ständig neue Gedanken und Aengste verarbeitenden Gehirn, langsam zum Boss meines restlichen Körpers zu entwickeln.

„Chchkchchkchchk..........“ Ich überlege blitzartig, ob ich nicht gleich mittels Blitzstart wieder den Hang herunterspurten soll, oder aber, ähnlich einem zum Tode Verurteilten, bei seinem Gang zur seiner eigenen Hinrichtung, diese letzte Herausforderung mutig anzunehmen, in Ehren zu sterben, dafür aber die Quelle dieses völlig mystischen und angsteinflössenden Klangs zu ermitteln.

Seit ich mich als kleiner Junge in der Schweiz , ganz alleine im dunkeln Gemeinschaftskeller unseres Hochhauses versteckt hatte, um mir damit meine ursprüngliche Angst vor dem Unerklärlichen und den Geistern zu nehmen, habe ich dieses Gefühl nie mehr so intensiv verspürt, wie gerade jetzt. Ich durchlebe

die beinahe 30 Jahre zurückliegende Zeit allein im Keller ein weiteres Mal und treffe nochmals dieselbe Entscheidung.

Es gibt nur einen Weg, nämlich vorwärts, davonrennen können ja all die anderen.

Ich will nicht mein ganzes Leben von diesem Geräusch verfolgt werden oder davon träumen, ohne mir erklären zu können, woher es stammte und wie es erzeugt wurde. Bestimmt muss es dafür eine leicht begreifbare Erklärung geben.

Mit klopfendem Herzen und immer noch pochendem Magen, versuche ich anschliessend krampfhaft, die Himmelsrichtung, aus der diese unheimliche Urwaldstimme mich zu rufen scheint, und aus der sie immer noch, einmal ein bisschen lauter, dann wieder leiser, zu mir herüberdringt, ausfindig zu machen und bewege mich langsam, zögernd einen Fuss vor den andern setzend, die Schlangen jetzt völlig ausser Acht lassend, weiter bergaufwärts, darauf vorbereitet, jederzeit auf einen Drachen oder sonst etwas, das es bis jetzt in meiner Realität noch nicht gab, zu stossen.

Zunächst sehe ich nichts als Bäume, Pflanzen und Steine, kein Tier, keine Maschine, eigentlich überhaupt nichts Aussergewöhnliches, bis ich schliesslich dann doch, mit zunehmender Lautstärke und Intensität, hinter einem grossen Stein, auf die rationale Erklärung meines akustischen Phänomens stosse.

Ein schon vor langer Zeit von einem Sturm gefällte, bereits ziemlich knorrige und ausgetrocknete Dattelpalme, deren gezackte Zweige quer zu denen einer anderen noch stehenden Palme zu liegen kamen entpuppt sich als das vom Wind wie von Geisterhand gespielte, den Horror Ton erzeugende Instrument.

Der ständig seine Richtung wechselnde und an Stärke zu- und abnehmende Wind spielt hier für diesen natürlich erzeugten Ton den Strom und wiegt die kaktusartigen bis zu 2.5 Meter langen Blätter unregelmässig übereinander hin und her, was zu meinem so gespengstischen Geräusch führt. Sobald sich meine Augen von der totalen Harmlosigkeit dieser Szene überzeugt haben, verliert dieses Spektakel seine soeben noch furchteinflössende Wirkung und ich beginne sogar, diese Dschungelsymphonie, wie sie mir der Wind hier soeben als Dirigent mit den beiden Palmblättern als Streicher vorspielt, entspannt und das erste Mal seit diesen Schrecksekunden wieder die Augen schliessend, zu geniessen.

Als schliesslich ein paar Minuten später der Wind vom Dirigieren die Nase voll hat und damit aufhört, sich weiter an den Blättern zu vergreifen, verstummt auch meine Palmgeige, wie wenn man beim Radio den Stecker herauszieht.

Ich entscheide mich, dieses Zeichen als Aufbruchsignal zu deuten und breche völlig erleichtert und nicht mehr so schreckhaft, zum letzten Teilstück zur Krete auf.

Dort bewahrheitet sich aber meine frühere Befürchtung und ich kann, trotz intensiver Suche, vom Boden aus, vor lauter Bäumen und dem überall etwa 2-3 Meter hohem und äusserst dicht wucherndem Blätterwerk, das mir die Sicht dazu versperrt, das Meer nicht recht sehen.

Ich muss also zuerst noch an einem der Baumstämme beinahe 4 Meter hoch klettern, um schliesslich weit unten, rechts vor mir, den langersehnten Lohn in Form eines unvergleichbaren Ausblickes auf die Chaweng Beach und links die imposante Statue der Big Buddha Beach zu Gesicht zu bekommen. Wie bereue ich es jetzt plötzlich, die Kamera nicht doch mitgebracht zu haben. Aber schliesslich brauchte ich ja keinen Beweis, hier oben gewesen zu sein und ich hatte mich deshalb heute früh, bereits vor der Abfahrt von zu Hause entschlossen, ganz ohne Gepäck loszuziehen.

Wie ein Schimpanse in seiner Astgabel hockend, geniesse ich den überwältigenden Anblick und versuche, ihn mir möglichst tief ins Gedächtnis einzuprägen. So etwas bekommt man ja schliesslich nicht alle Tage geboten. Die Anstrengungen und der vorher erlebte Schreck stehen mir wahrscheinlich immer noch tief ins Gesicht geschrieben.

Der Abstieg bringt keine weiteren Ueberraschungen mehr und als ich später verschwitzt und an beiden Hosenbeinen mit Dutzenden von kleinen, distelartigen Bällchen (Samen irgendeiner Grasart) bestückt, wieder beim Motorrad ankomme, bin ich heilfroh, dass alles so gut geklappt hat und dass ich mich vor einem Baum nicht in die Flucht habe schlagen lassen.

Ich danke Gott, Buddha und allen anderen hier lebenden Dschungelgeistern, ob sie nun wirklich existieren und an meinem soeben erlebten Naturschauspiel beteiligt waren oder auch nicht, trete den Kickstarter meiner Honda NSR voll durch, lausche auf das Geräusch des stotternd anspringenden, dann aber gleichmässig drehenden Motors, ziehe die Kupplung, gebe 2 Mal kurz Gas, schmeisse den ersten Gang rein und lasse mich in langsamer Fahrt, zum ersten Mal nach vier Stunden wieder nicht nur allein durch die eigene Muskelkraft angetrieben, räkelnd im Sattel sitzend, über den kurvigen Trampelpfad zurück zur Hauptstrasse bewegen, indem ich nur noch meine Hände und Füsse jeweils im richtigen Moment zum Beschleunigen, Bremsen, Schalten und Kuppeln einsetze.


 
  
 
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