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marcosolo, 3. August 2002 um 16:39:44 MESZ Sizilianische Familienbande Leonardo La Rosa, *1960; lebt als Literaturagent, freier Journalist und Autor in Zürich. Diverse Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. Leonardo La Rosa Sizilianische Familienbande «Wir müssen alles ändern, damit sich nichts ändert.» Tancredi in «Der Leopard» von Giuseppe Tomasi di Lampedusa Dazugehören: Aus Angola, aus Albanien, dem Kongo, Afghanistan, Kroatien, aus Bangladesh, Ghana, Mazedonien und Brasilien standen sie eng gedrängt zwischen metallenen Gittern, geduldig oder mit leeren Gesichtern, mitunter leise lachend, doch vor allem schicksalsergeben, schoben sie sich Schritt um Schritt durch den Gitterslalom vorwärts - vielleicht würden sie es an diesem Tag bis zur Sicherheitsschleuse schaffen, vielleicht aber auch vergeblich drei Stunden Schlange gestanden haben. Wir hingegen schlenderten mit einem verschwörerischen Grinsen am Sicherheitsbeamten vorbei, der uns die Schleuse aufhielt, als ob alle sehen sollten, wem sie gelte und wem nicht. Mein Bruder voran mit der Legitimation von Armani und Nokia, gewappnet mit dem gespielten verlegenen Lächeln dessen, der etwas erbittet, von dem er weiß, es steht ihm zu wie alles andere. Ich folgte mit aller Selbstverständlichkeit, die ich aufbringen konnte, in seinem Windschatten begleitet von den weder erstaunten noch offen neidischen Blicken derer, die in der Weltschlange ein paar Plätze weiter hinten geboren wurden. Prego. Man bat uns Stühle an, keinen Kaffee, aber immerhin Stühle, während sie draußen in der Novemberluft standen, immer wieder die Papiere überfliegend, die sie in den Händen hielten, als könnte etwas Entscheidendes darauf ins Nichts verschwinden, wenn sie nicht Acht gäben. Im Kreis gehen: Es glich der mühseligen Fortbewegung in einem Traum: schnell möchte man laufen, doch die Beine scheinen wie ineinander geflochten, oder der Boden unter den Füßen sinkt weg und steigt zugleich bis zu den Schenkeln hoch. Die Euphorie des Sonderwegs, die der erste Tag auf dem Weg zur italienischen Staatsange-hörigkeit versprochen hatte, war rasch verflogen. Freundliche Behinderung von allen Seiten, Formulare, die scheinbar erfunden wurden, sobald wir glaubten, alle beisammen zu haben, mussten ausgefüllt und persönlich überbracht werden. Beglaubigungen, die Beglaubigungen beglaubigten, waren beizubringen, Übersetzungen sowieso - und dennoch erlebten wir immer wieder Anflüge von Euphorie, wenn wir glaubten, am Ziel zu sein, bis es hinter einem weiteren Formular wieder verschwand wie ein loser Zettel in einem riesigen Aktenberg. Dann der klare Frühlingsmorgen, in den jene Juristin mit einem versonnen Lächeln blinzelte, als sie uns sagte, unser Verhältnis dem Staat gegenüber sei längst schweizerisch geprägt, von der Vorstellung somit, der Staat diene dem Bürger. In Italien aber erweise der Staat dem Bürger eine Gnade, wenn er ihm einen Dienst leistet. So lägen die Dinge, und im Übrigen hätten wir unsere originalen italienischen Geburtsurkunden beizubringen, das verstünde sich ja von selbst, wenn wir wirklich Italiener zu sein glaubten. Eintauchen: Es war nicht zu erkennen, ob der Mann, der mich be-grüßte, ein Beamter war oder der Hausmeister oder einer, der sich zufällig in den Räumen der Gemeindeverwaltung des sizilianischen Dorfes befand. Certificato di nascita, wiederholte er, als würde sich durch das erneute Aussprechen des Wortes ihm erst dessen geheimnisvoller Sinn eröffnen. Er machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopf und verschwand durch eine seitliche Türe. Es dauerte zehn Minuten, bis ich begriff, dass er nicht zurückkommen würde, sondern einfach gegangen war - was ging ihn mein Certificato auch an. Die Frau, auf die ich drei Türen weiter stieß, stellte seufzend ihren Kaffee ab und fragte mich nach meinem Geburtsdatum. Ich nannte es ihr, worauf sie eine Weile sitzen blieb und den grünen Bildschirm vor sich betrachtete, der aus den ersten Tagen der Informatik überlebt hatte. Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihn anschalten, lehnte sich dann zurück und kniff nachdenklich die Augen zusammen, bevor sich ihr Gesicht erhellte, als hätte sie eben ein großes Rätsel gelöst, und sie mich in den zweiten Stock verwies. Dort begegnete ich niemandem, doch der Raum, der mit «Einwohnermeldeamt» beschriftet war, stand offen. Ich versuchte, herauszufinden, woran mich der Geruch erinnerte, der mir aufgefallen war, sobald ich eingetreten war. Ich schnupperte mehrmals, dann fiel es mir wieder ein: es war der gleiche Geruch wie der in dem dunklen Raum neben der Kirche, in dem die Votivbilder ausgestellt wurden: feuchtes Papier, kalter Rauch und etwas nur ganz leicht Riechbares, Rattenköttel vielleicht. Dieser Raum jedoch war hell und ohne jedes Geheimnis außer den überformatigen Bänden, die die Regale an den Wänden ausfüllten. Auch der neueste sah aus, als hätten noch bourbonische Beamte darin Geburten und Tode vermerkt. Ich blätterte und las drei, vier Jahrgänge durch. Zweimal stieß ich auf Namen, die man mit sehr viel gutem Willen für eine falsche Transkription der unsrigen hätte halten können. Ich las sie nochmals: wenn, dann konnten es nur diese sein. Ich legte Zettel zwischen die jeweiligen Seiten und machte mich auf die Suche nach einem Beamten. Außer dem Gemeindepolizisten, der über einer Zeitung eingenickt war, fand ich zunächst niemanden. Schließlich stieß ich auf eine junge Frau, die mir bedeutete, morgen wieder zu kommen, die Dienstzeiten seien vorbei. So, ich reise am nächsten Tag ab, wiederholte ich gleichgültig. Pech, ich hätte eben früher kommen sollen. Dazugehören II: Ein Jahr später war eine stille Revolution im Dorf vor sich gegangen. Die alten Seilschaften der Dons, der persone per bene und Ehrenmänner waren im Stillen zerrissen. Die Erschütterungen im ganzen Land hatten auch die Fassaden der Dorfnotabeln abbröckeln lassen, und der Ersatz hatte sich noch nicht richtig etabliert. Junge Leute, die es satt hatten, die Arbeitsplätze immer nur von den unfähigsten Kandidaten mit den besten Beziehungen besetzt zu sehen, begehrten auf, Menschen, die weit gereist waren und begriffen hatten, dass die Dinge nicht naturgegeben so liegen mussten, wie sie bei ihnen lagen, hatten in einem demokratischen Streich die Macht im Dorf an sich gerissen. Die Straßenkehrer, von denen es in dem kleinen Dorf fast ein Dutzend gab, kehrten plötzlich die Straßen, der Dorfpolizist verteilte zuweilen gar Strafzettel, und die Renovation der Oberstufenschule wurde öffentlich ausgeschrieben und nicht unter der Hand verschachert. Ein Cousin von mir nahm Einsitz in der Gemeinderegierung, wobei schwer zu sagen war, worin seine Aufgabe eigentlich bestand. Soweit ich folgen konnte, befasste er sich mit der Verwaltung der Administration. Oder umgekehrt. Ich dachte wieder an meine Geburtsurkunde und sprach ihn mit einem Anflug von schlechtem Gewissen darauf an; hatte nicht die Bürgerliste, zu der er gehörte, lauthals verkündet, dass nun alle gleich sein würden vor dem Gesetz, dass die Ämter im Dienst des Bürgers zu stehen hätten, und dass die conoscenze, die unverzichtbaren Bekanntschaften, künftig keine Rolle mehr spielen würden. Gleichviel, tags darauf hatte ich sie in der Hand, beglaubigt, mit Stempeln und dem ganzen Dekor eines italienischen Amtschreibens versehen: die Anerkennung meiner Existenz durch die italienische Republik. Ich schaute meinen Cousin ungläubig und etwas spöttisch an. Er zuckte mit den Achseln und meinte: Schnell und effizient wie in der Schweiz, was willst du mehr. |
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