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Golfstrom hat sich stark abgeschwächt


Von Christian Stöcker

Es ist eines der Horrorszenarien, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel immer wieder benannt werden: Der Golfstrom, Nordeuropas Warmwasserheizung, könnte versiegen. Messdaten zeigen jetzt erstmals, dass er tatsächlich an Kraft verliert.

Wenn man Detlef Quadfasel von der Universität Hamburg fragt, was passiert, wenn der Golfstrom im Nordatlantik seine Arbeit einstellt, antwortet er hanseatisch-lakonisch. "Dann wird's hier kalt." Dieses Szenario, von Wissenschaftlern in Modellen seit langem prognostiziert und von Hollywood als Klima-Albtraum auf die Leinwand gebracht, erscheint nun plötzlich gar nicht mehr abwegig. Denn ein wesentlicher Teil der gigantischen Wasserpumpe, die kaltes Wasser in der Tiefe nach Süden und warmes an der Oberfläche nach Norden transportiert, läuft nicht mehr rund. In den letzen 50 Jahren hat sie ein Drittel ihrer Kraft verloren.

Die Zirkulation habe "sich zwischen 1957 und 2004 um etwa 30 Prozent verlangsamt", berichten Harry Bryden vom National Oceaonography Centre in Southampton und zwei seiner Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Bd. 438, S. 655). 30 Prozent in knapp 50 Jahren - "das ist eine ganze Menge", findet Quadfasel.

Der Ozeanograph hat für "Nature" einen kommentierenden Begleitartikel geschrieben, um die Ergebnisse von Brydens Arbeitsgruppe einzuordnen. Sein Fazit: "Zunehmender Süßwasserzufluss in die nördlichen Meere wird die Zirkulation zunächst nur langsam schwächen. Wenn aber eine bestimmte Schwelle erreicht wird, könnte die Zirkulation abrupt zu einem neuen Status wechseln, in dem es kaum oder keinen Wärmezufluss mehr nach Norden gibt."

Kein Wärmezufluss nach Norden - das würde für ganz Nordeuropa "verheerende Auswirkungen auf die sozioökonomischen Bedingungen haben", schreibt Quadfasel. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE mahnt er aber, nun nicht in Verzweiflung zu verfallen: "Wir müssen nicht mit der Eiszeit rechnen." Die Ungenauigkeit der jetzt veröffentlichten Abschätzungen sei "relativ groß" und die von Bryden und Kollegen errechnete Verringerung um 30 Prozent ein Mittelwert. Der Golfstrom könnte also entweder nicht ganz so stark ins Stocken gekommen sein - oder aber noch stärker. Und: Der Klimawandel bremst nicht nur den Golfstrom, er lässt auch die globalen Temperaturen steigen.

Erstmals Messdaten statt Modelle

Das Entscheidende an den jetzt publizierten Daten: Sie sind nicht die Ergebnisse eines Rechenmodells, sondern über Jahre hinweg erhobene Messwerte. Es seien "die ersten Beobachtungen, die zeigen, dass eine solche Abnahme der ozeanischen Zirkulation schon in vollem Gange ist", schreibt Quadfasel. Von Forschungsschiffen aus wurden Sonden, bei den ersten Messungen noch speziell präparierte Flaschen, auf den Grund des Atlantiks hinab gelassen, in Tausende Meter Tiefe. Dort wurden Wassertemperatur und Salzgehalt gemessen, die beiden entscheidenden Faktoren für das Überleben des Golfstroms - zumindest des Arms, der uns im Norden wärmt. In den Tropen kreist ein anderer, elliptischer Teil. Der kommt auch ohne den Mechanismus aus, der zwischen Grönland und Norwegen am Werk ist.

Salzigeres Wasser ist schwerer. Im hohen Norden, weit vor der Küste Norwegens, sinkt sehr dichtes, salzhaltiges Wasser von der Oberfläche bis zum Meeresgrund ab und fließt, tief unten im Ozean, an der Küste Grönlands und Nordamerikas vorbei, bis zum westlichen Rand des südlichen Atlantischen Beckens, vor die Küste Südamerikas. Von dort wiederum fließt an der Oberfläche warmes Wasser nach Norden. Das im Norden versinkende, stark salzige Wasser saugt gewissermaßen ständig neues, warmes Wasser aus tropischen Gefilden an und wird so zu Europas Warmwasserheizung. Nur ihretwegen wachsen auf manchen Inseln vor der britischen Küste Palmen, nur ihretwegen ist das Klima hierzulande auch im Winter relativ mild.

Nun aber kommt der Klimawandel ins Spiel: Der sorgt für mehr Niederschläge im Norden, lässt die Flüsse anschwellen und bringt noch dazu Grönlands Eispanzer zum Schmelzen. All das bringt Süßwasser ins Nordmeer - und nimmt der Wasserpumpe dort so ihren Antrieb. Das weniger dichte, weniger salzige Wasser sinkt nicht mehr wie früher zum Meeresgrund.

Das Ergebnis dieses Prozesses haben Bryden und seine Kollegen nun in ihren Messungen gefunden: Weniger Wasser läuft aus dem Becken nördlich von Schottland heraus, das durch ein Unterwassergebirge zwischen Grönland und dem Norden der britischen Insel gebildet wird. Millionen von Kubikmetern weniger - die Leistung der Wasserpumpe nimmt ab.

Vier Grad kälter?

Was nun weiter geschehen wird, und vor allem in welchem Zeitrahmen, ist noch nicht abzusehen. Eins aber prophezeien die Vorhersagemodelle, etwa die des Potsdam Instituts für Klimafolgenabschätzung: An einem bestimmten Punkt bricht das System plötzlich zusammen, der Zustrom warmen Wassers nach Norden versiegt mit einem Schlag. Einen Temperaturabfall von "schätzungsweise vier Grad Celsius" würde das zur Folge haben, sagt Quadfasel. In gewisser Weise wirke der Klimawandel, der die Temperaturen ja eigentlich steigen lässt, sich also selbst entgegen: "Es wird dann nicht ganz so warm in Europa."

Aufhalten könne man den Prozess kaum. Denn so viel Salz im Nordmeer zu versenken, dass es den verstärkten Süßwasserzufluss ausgleicht, würde die Menschheit überfordern. Was man ansonsten gegen den Klimawandel tun könne? Quadfasels Antwort: "Weniger Auto fahren."


 
  
 
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