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Milliardenfonds vor dem Kollaps


Von Marc Pitzke, New York

Nur mit kräftigen Finanzspritzen konnten zwei US-Hedgefonds vor dem Kollaps gerettet werden. Sie hatten sich über windige Hypothekenkredite finanziert und waren in Schieflage geraten. Solche Investments gibt es viele an der Wall Street - sie gefährden das gesamte Finanzsystem.

New York - Wochenlang hat Richard Marin, ein Fondsmanager beim US-Investmenthaus Bear Stearns, die Katastrophe aufzuhalten versucht. Tag und Nacht rackerte der 53-Jährige, schlief nicht mehr, aß fast nichts mehr. Alles vergebens. Schließlich tat er, was für einen Workaholic dem Hissen der weißen Flagge gleichkommt: Er verließ sein Büro in Midtown und ging ins Kino.

"Ich hatte rund um die Uhr an dieser Sache geschuftet", sagte er der "New York Times". "Es schien vernünftig, einen kurzen Zeitraum darauf zu verwenden, einen klaren Kopf zu bekommen." Am Resultat änderte das nichts.

Die "Sache", vor der Marin in die Dunkelheit des Kinosaals floh, war der Fast-Kollaps zweier Hedgefonds bei Bear Stearns. Um den einen zu retten, muss die fünftgrößte Wall-Street-Bank nun selbst 1,6 Milliarden Dollar zuschießen. Der andere wird mit 1,2 Milliarden Dollar an Finanzspritzen von Konkurrenten wie Merrill Lynch , Goldman Sachs und Bank of America am Tropf gehalten. Die Bear-Stearns-Aktie stürzte nach Bekanntwerden der Rettungsaktion auf ihr Jahrestief.

Für Marin, der bei Bear Stearns die Abteilung für festverzinsliche Anlagen leitet, war das der schlimmste Alptraum seiner langen Karriere. Zwei Wochen lang, so berichtete er in seinem Blog, hätten er und sein "loyale Mannschaft" versucht, "Sparta gegen die persischen Horden der Wall Street zu verteidigen". Die Horden siegten.

Wie kippende Dominosteine

Die beiden Fonds - der Bear Stearns High-Grade Structured Credit Fund und der größere Bear Stearns High-Grade Structured Credit Enhanced Leveraged Fund - wurden Opfer einer schleichenden Krise an der Wall Street, von der viele fürchten, dass sie weiter um sich greifen könnte. Schon das Bear-Stearns-Drama hätte Ende Juni beinahe eine breitere Verkaufslawine an der US-Börse losgetreten.

Die Milliardenfonds, in die auch Bear-Stearns-Topmanager selbst sowie reiche Firmenkunden investierten, sind Konstrukte aus riskanten Anlagen, die größtenteils an "subprime mortgages" gekoppelt sind - zweitklassige Hypothekenkredite auf dem Immobilienmarkt. Die Einkommen aus solchen windigen Krediten ans mittellose Volk werden nämlich ihrerseits zu festverzinslichen Anleihen gebündelt, die Großbanken wie Bear Stearns dann über ihre Hedgefonds an Großinvestoren verschachern. Diese Strategie, so weiß der Analyst Richard Bove, hat lange "wundervoll funktioniert".

Vor den Risiken, die solche Ramschkredite mit sich bringen, warnen Experten allerdings schon seit geraumer Zeit. Meist betraf dies aber bisher nur die eigentlichen Schuldner: Amerikaner mit schlechter Bonität, die diesen Darlehen aufgesessen sind, dann plötzlich von eskalierenden Zinsen überrollt werden und sich wegen der sinkenden Immobilienpreise auch keine Refinanzierung mehr leisten können. Das Resultat: Fast jeder siebte dieser Kredite endet inzwischen in Liegenschaftsverpfändung.

"Ernst, aber im Griff"

"Ein Tiefschlag von massivem Ausmaß", entsetzte sich Bear-Stearns-CEO James Cayne über das Debakel bei Bear Stearns. Dabei trägt die Wall Street selbst zumindest Mitverantwortung für das Fiasko: Sie versorgte die Darlehensgeber ja all die Jahre fleißig mit Kapital. Die großen Investmenthäuser, sagt der demokratische US-Senator Robert Menendez, hätten lange "weggeguckt", weil sie selbst von den fragwürdigen Hypotheken profitiert hätten. Dies wiederum habe "einen Markt angeheizt, der so schon wenig Selbstdisziplin hat".

Arbeitslosenquote Und so wird die Sache zum Börsenkrimi: Schon greift die Angst um sich, dass Abermilliarden Dollar an ähnlichen Investments implodieren und damit das ganze Finanzsystem mitreißen könnten. Im kommenden Jahr allein sind die Zinsen für Hypotheken im Wert von rund 850 Milliarden Dollar zur Anhebung fällig, über die Hälfte davon "subprime loans". Anderswo wird die Summe der daran gekoppelten Wall-Street-Werte, die auf dem Spiel stehen, auf eine halbe Billion Dollar geschätzt - ein Pulverfass.

"Es sollte den Kreditgebern, Banken und Hedgefonds nicht erlaubt sein, das finanzielle Wohlergehen aller mit dem Versuch zu riskieren, ein paar wenige zu bereichern", empörte sich die "New York Times" und forderte den US-Kongress auf, regulierend einzugreifen oder zumindest den bedrängten Schuldnern unter die Arme zu greifen. "Das würde im Gegenzug die Investments stützen, die sich auf diese Hypotheken stützen."

Nicht alle sehen die Lage so düster. Timothy Bitsberger, der Schatzmeister der zweitgrößten US-Hypothekengroßbank Freddie Mac, nannte die Flaute bei den "subprime"-Krediten kürzlich "ernst, aber eingeschränkt" - die Banken können "den Verlust verkraften". Doch auch andere Hedgefonds tragen schwer an ihrer "subprime"-Last. Queen's Walk Investment, ein Fonds der Londoner Firma Cheyne Capital Management, vermeldete für das letzte Bilanzjahr einen Verlust von 91 Millionen Dollar, unter anderem wegen der amerikanischen Hypothekenkrise. Und der Caliber-Fonds, ein "suprime"-Fonds im Wert von fast einer Milliarde Dollar, liquidiert sich aus dem gleichen Grund zum Jahresende ganz.

Auch Bear Stearns ist längst nicht aus dem Schneider, selbst wenn die Finanzspritzen das Schlimmste vorerst abgewendet haben. Die US-Börsenaufsicht SEC hat informelle Ermittlungen zu der Sache aufgenommen.

Bear-Stearns-Fondsmanager Marin, ein alter Hase an der Wall Street, wollte sich schon trotzdem wieder voll in den "dog fight" stürzen, wie er sein Business nennt. Doch man ließ ihn nicht. Am Donnerstagabend war er seinen bisherigen Job los, er wurde degradiert.


Korrektur: Aufgrund eines Redigierfehlers hieß es in dem Text zunächst, Marin sei fristlos gefeuert worden. Tatsächlich wurde der Fondsmanager degradiert, bleibt also bei Bear Stearns.


 
  
 
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