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Hypothekenkrise - Das Beben der Banken


Von Roland Lindner

Die Turbulenzen in der amerikanischen Investmentbank Merrill Lynch rufen eine düstere Prophezeiung von Warren Buffett in Erinnerung: 2003 warnte der legendäre amerikanische Investor in dramatischen Worten vor Derivaten. Buffett bezeichnete diese oft sehr undurchsichtigen abgeleiteten Finanzprodukte als „Massenvernichtungswaffen der Finanzmärkte“ und „Zeitbomben“. Derivate seien nur ungenau zu bewerten und verleiteten zu fehlerhafter Bilanzierung, mahnte Buffett damals. Das mache es schwer, das Risikoprofil von Banken und anderen Finanzdienstleistern abzuschätzen, die in diesem Geschäft vertreten sind.

Was sich in den vergangenen Tagen bei Merrill Lynch abgespielt hat, bestätigt Buffetts Sorgen eindrucksvoll. Die Hypothekenkrise in Amerika hat die Investmentbank zu einer Abschreibung von fast acht Milliarden Dollar gezwungen. Die traditionsreiche Bank, die im Vorjahr einen Rekordgewinn einfuhr, weist nun den höchsten Quartalsverlust seit ihrer Gründung vor 93 Jahren aus. Der Vorstandsvorsitzende Stan O’Neal hat die Verantwortung übernommen und ist zurücktreten. Trotz dieser katastrophalen Fehlkalkulation bekommt O'Neal aller Voraussicht nach ein Abfindungspaket in dreistelliger Millionen-Dollar-Höhe. Nach dem Pharmakonzern Pfizer und der Baumarktkette Home Depot wird Merrill Lynch so zum jüngsten Fall, in dem ein Manager trotz desolater Bilanz mit einem goldenen Handschlag geht. Man kann nur hoffen, dass dies die Diskussion um das Missverhältnis von Leistung und Entlohnung in Amerika neu entfacht.

Offensichtlich hat die Risikokontrolle nicht gegriffen

Erschreckend ist nicht nur die Höhe der notwendigen Abschreibung sondern die Tatsache, dass Merrill Lynch den Abschreibungsbedarf noch vor wenigen Wochen auf lediglich 4,5 Milliarden Dollar veranschlagt hatte. Offensichtlich hat die Risikokontrolle der Investmentbank nicht mehr gegriffen. Die Abschreibungen betreffen vor allem Kreditderivate, die mit dem Subprime-Hypothekengeschäft zusammenhängen. Das sind Hypotheken, die in Amerika an zahlungsschwache Kunden vergeben worden sind. Weil die Zinsen zuletzt gestiegen sind, konnten diese Verbraucher die Raten für ihre Immobiliendarlehen nicht mehr aufbringen.

Die wachsenden Kreditausfälle brachten zunächst die Hypothekenbanken in Bedrängnis, erfassten dann aber auch Investmentbanken. Ihr Geschäft bestand darin, Hypotheken aufzukaufen und daraus neue, komplexe Finanzprodukte zu machen. Diese Kreditderivate haben sie dann an andere Anleger weitergereicht, und sie haben auch selbst in diese Papiere investiert.

Stan O’Neal hat Merrill Lynch aggressiv in das Geschäft mit diesen Derivaten getrieben, die unter dem Namen Collateralized Debt Obligations (CDOs) bekannt sind. Das war für Merrill Lynch zunächst sehr lukrativ, die Bank strich beim Verkauf dieser Produkte hohe Gebühren ein. O’Neal setzte seinen Vorstoß allerdings noch unbeirrt fort, als es längst genügend Warnsignale für Schwierigkeiten auf dem Häusermarkt gab. Merrill Lynch hatte sich zu einem der wichtigsten Anbieter in diesem Geschäft entwickelt und erst vor gut einem Jahr ein auf Hypothekenfinanzierungen spezialisiertes Unternehmen zugekauft.

Bewertungsmodell unzureichend

Genauso unzureichend wie das Risikomanagement sind die Bewertungsmodelle der Bank. Dass sich Merrill Lynch in der Abschreibungssumme so gründlich verkalkuliert hat, ist alarmierend. Stan O’Neal begründete die dramatisch höhere Korrektur damit, dass Merrill Lynch konservativere Bewertungsmethoden für seine Kredite angesetzt hat. Das mag sich vernünftig anhören, legt aber die Wunde offen: Die Risiken der Derivate sind schwer zu erfassen und entsprechend schwer zu bewerten. Das führt zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Auch die nun von Merrill Lynch angesetzte Zahl von 7,9 Milliarden Dollar ist nicht mehr als eine Schätzung. Niemand weiß, wie nahe sie der Wahrheit kommt.

Das lässt ein ungutes Gefühl mit Blick auf andere Banken aufkommen. Merrill Lynch ist nicht der einzige Finanzdienstleister, der durch das Geschäft mit riskanten Hypothekenpapieren ins Trudeln geraten ist. In Deutschland gab es die spektakulären Schieflagen der IKB Deutsche Industriebank und der Sachsen LB, und die Schweizer UBS meldete gerade einen Quartalsverlust. Fast alle anderen amerikanischen Banken haben für das vergangene Quartal Abschreibungen vorgenommen.

Vorerst keine Entspannung

Bislang hat es niemanden so hart getroffen wie Merrill Lynch, aber überall rumort es weiter. Die Bank of America kündigte nach einem Gewinneinbruch die Entlassung von 3000 Mitarbeitern im Investmentbanking an. Einige Vorstandschefs sind unter Druck geraten, so wie Charles Prince von der Citigroup und James Cayne von Bear Stearns.

Die Lage im Hypothekengeschäft, der Ausgangspunkt für die Misere, wird sich vorerst nicht entspannen. Der Kongress nannte in dieser Woche eine beunruhigende Zahl: Bis Ende nächsten Jahres werde es in den Vereinigten Staaten zwei Millionen Zwangsvollstreckungen von Häusern geben, die mit Subprime-Hypotheken besichert sind. Das lässt neue Hiobsbotschaften befürchten. Merrill Lynch ist ein warnendes Beispiel dafür, wie schnell sich die Lage zuspitzen kann. Das Beben bei den amerikanischen Banken ist noch nicht zu Ende.


 
  
 
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