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Die Ära Bush - Bin ich schuld?


Von Nils Minkmar

So einfach kann man sich als Präsident der Vereinigten Staaten nicht verabschieden 15. Juni 2008 Er hat es gern hinter sich, auch die Reisen: Wer erinnert sich nicht an die Szene, als er, also Präsident Bush, nach einem Gipfel in Sankt Petersburg im Juli 2006 auf den chinesischen Kollegen zuging und bei offenen Mikros mit ihm über die bevorstehende Heimreise plauderte: Er, Präsident Hu Jintao, habe es ja gut, sei ja in seiner Nachbarschaft gewesen, diese Veranstaltung, bis nach Washington seien es jetzt aber noch acht Stunden. Als Hu erwiderte, von Petersburg bis Peking fliege man genauso lange, da hatte der amerikanische Präsident wieder etwas gelernt.

Die Öffentlichkeit hätte es auch gern hinter sich: Während seiner letzten Sommertour in der vergangenen Woche wurde er ungefähr mit der Aufmerksamkeit empfangen, mit der man am Morgen seiner Hochzeit den Spendensammlern der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger begegnet. Es ist aber noch längst nicht vorbei. Nicht nur, weil bis zur Amtsübergabe im kommenden Januar noch Zeit für allerhand Unsinn ist, sondern vor allem, weil sich schon heute die Vorboten eines Phänomens zeigen, das die Öffentlichkeit auf Jahre und Jahrzehnte beschäftigen wird: die juristische Aufarbeitung der Bush-Präsidentschaft.

Gezeitenwechsel in der Judikative

Das Urteil des Supreme Court, wonach den Häftlingen von Guantánamo der Rechtsweg vor amerikanischen Gerichten offensteht, ist bahnbrechend und zugleich ein Indiz für den Gezeitenwechsel in der Judikative. Da kommt was auf uns zu: Jeder aktuelle und ehemalige Häftling wird klagen und dabei die Umstände seiner Verhaftung, die Haftbedingungen und die Verhörmethoden vom Gericht prüfen lassen.

Zur Frage der rechtlichen Verantwortung für die dort angewandten grausamen Verhörmethoden gibt es schon eine eindeutige Spur. In der Maiausgabe der amerikanischen „Vanity Fair“, die mit dem deutschen Farbheftchen nur noch den Titel gemein hat, wies Philippe Sands anhand von Interviews und frei zugänglichen Dokumenten nach, wie eng etwa Verteidigungsstaatssekretär Douglas Feith, der Justitiar des Vizepräsidenten, David Addington, und der Justiziar des Weißen Hauses, Alberto Gonzales, an der Formulierung und Durchführung der verschärften Verhörbestimmungen beteiligt waren. Kommt ein Gericht, irgendwo auf der Welt, zu der Überzeugung, dass diese Methoden Folter darstellen und dass diese Vorwürfe in den Vereinigten Staaten nicht verfolgt werden - unter anderem weil sich die Spitzenjuristen Schutz vor Strafverfolgung haben garantieren lassen -, dann könnte es gegen diese Herren bald zu Haftbefehlen bei Auslandsreisen kommen.

Bush vor dem Strafgericht

Aber was ist mit dem Mann an der Spitze? Mit ihm will es jetzt einer aufnehmen. Keine Ausflüchte mehr gelten lassen, keine Mitarbeiter vorschieben, keine Halbwahrheiten, alles, fordert dieser Mann, muss vor Gericht. Diesen verrückten, aber zugleich klaren Weg, die Anklage des amtierenden amerikanischen Präsidenten wegen vielfachen Mordes, schlägt nicht etwa ein pakistanischer Ideologe vor, sondern ein gestandener ehemaliger Staatsanwalt aus Kalifornien. Vincent Bugliosi hat eine doppelte Karriere gemacht: Er hat mehr als hundert Fälle vor Gericht vertreten, davon dreiundzwanzig Mordanklagen, und alle gewonnen. Er hat die Charles-Manson-Bande angeklagt und deren Verurteilung wegen siebenfachen Mordes erreicht. Und er hat Bücher geschrieben: Sein Buch über die Manson-Bande, „Helter Skelter“, wurde ein Bestseller, im Frühjahr vergangenen Jahres legte er seine die Alleintäterschaft Oswalds belegende, fünfzehnhundert Seiten starke Studie über die Ermordung JFKs vor.

In seinem neuesten Buch („The Prosecution of George W. Bush for Murder“, Vanguard 2008) entwickelt Bugliosi Elemente einer strafrechtlichen Anklage gegen Bush. Jenseits des seltsamen Tons und des schwer erträglichen Pathos - die Innenseiten des Buches sind mit Fotos der Gefallenen ausgeschlagen - kann Bugliosi als Routinier der Mordanklage einige Punkte machen, die Bush beunruhigen müssten. Natürlich ist Mord hier nicht in dem elementaren Sinne gemeint, dass ein Herr X einen Herrn Y aus einem bestimmten Motiv vorsätzlich eine Kugel in den Kopf jagt. Bugliosi folgt der vor amerikanischen Strafgerichten üblichen „Felony Murder Rule“.

Er gibt das Beispiel eines Raubüberfalls, bei dem sich der Ladeninhaber mit einer Schusswaffe wehrt, dabei aber einen Kunden trifft und tödlich verletzt. In einem solchen Falle könnte der Räuber wegen Mordes an dem Kunden verurteilt werden, den er nicht kannte, dem er nichts Böses wollte und den er nicht erschossen hat. Er hat lediglich aus krimineller Absicht Bedingungen geschaffen, die zum Tode des Kunden geführt haben. Diese kriminelle Absicht muss nicht in einem nachweisbar böswilligen Plan bestehen, es sind von amerikanischen Geschworenen schon Leute wegen Mordes verurteilt worden, die fahrlässig zu schnell in eine Menschenmenge gefahren sind oder ein Gebäude gesprengt haben, ohne zu prüfen, ob noch jemand drin war: Auch grobe Fahrlässigkeit kann kriminell sein.

Was Bush hätte wissen müssen

Nun der Krieg. Viertausend Amerikaner, die heute noch leben könnten, tun das nicht mehr, und da spielt, man kann Bugliosi hier nicht widersprechen, Bush doch eine gewisse Rolle. Natürlich kann, dies schickt er voraus, ein Oberbefehlshaber, der Soldaten in den Kampf schickt, nicht für deren Tod belangt werden. Aber das gilt nur dann, wenn der Einsatz rechtlich begründet war. Oder müsste auch der Präsident straffrei ausgehen, fragt Bugliosi, der etwa zur eigenen Bereicherung Kriege führt? Die rechtliche Beurteilung des Irakkrieges entscheidet sich an einem Punkt: Aus welchem Grund hat Bush den Krieg begonnen?

Der Präsident könnte, schreibt der Autor, sich eigentlich nur auf präemptive Landesverteidigung berufen: Ich musste den Irak angreifen, weil der Irak sonst uns angegriffen hätte. Dass dies nicht den Tatsachen entsprach, wissen wir heute. Leider gibt es viele Hinweise dafür, dass Bush es auch damals hätte wissen können. Ist dieser Mangel an Interesse für die vom Irak tatsächlich ausgehende Bedrohung, diese Nachlässigkeit bei der Prüfung von Fakten, die der eigenen vorgefassten Meinung widersprechen, bevor man einen Krieg befiehlt, schon strafrechtlich relevante Fahrlässigkeit? Bugliosi ist davon überzeugt.

Hätte Bush den Irak aus anderen Motiven angegriffen, also um das Terrorregime von Saddam zu beenden oder um die Iraker zu befreien und eine Musterdemokratie im Nahen Osten zu errichten, dann hätte er, so Bugliosi, die Pflicht gehabt, dieses Motiv klar zu benennen und dem amerikanischen Volk zur Prüfung vorzulegen. Das hat er aber nicht, weil er, wie Paul Wolfowitz später zugegeben hat, nicht davon ausging, dass die Amerikaner einem Krieg aus solchen Motiven zustimmen würden. Bugliosi macht daraus: Die Soldaten wurden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Tod geschickt.

Jedes Klischee stimmt

Leider laden der übertriebene Ton des Buches und der ganze Stil dazu ein, das Anliegen nicht sonderlich ernst zu nehmen. Man könnte die demokratische Entschiedenheit der amerikanischen Öffentlichkeit rühmen und das Buch als Kuriosität zur Seite legen, würden dessen wesentliche Argumente nicht in einem anderen, nun ungleich mehr beachteten Buch ihr Echo finden, nämlich in Scott McClellans „What Happened“ (Public Affairs, 2008), dem aktuellen Spitzenreiter der amerikanischen Sachbuchbestsellerliste.

Scott McClellan ist im Gegensatz zu Bugliosi kein Demokrat, er ist im Milieu der texanischen Republikaner groß geworden und hat nie woanders gearbeitet als im dortigen Politikbetrieb. Schon als junger Mann kam er an die Seite von Bush, dem er blind folgte. Es war eine jahrzehntelange freundschaftliche Beziehung. McClellan vertraute Bush, stieg mit ihm auf und wurde schließlich Sprecher des Weißen Hauses. Als er irgendwann, nach dem Katrina-Desaster und der Valerie-Plame-Affäre, im Zuge einer größeren Personalrochade ausgetauscht wurde, sagte Bush, McClellan repräsentiere „das Beste seiner Familie, unseres Staates und unseres Landes“.

Zuvor hatte er einige Tränen vergossen. Obwohl McClellan ein Freund Bushs ist, bestätigt er in seinem Buch leider jedes Klischee und jedes Vorurteil gegen den Präsidenten, ja er zeigt, dass alles noch viel schlimmer ist: die Ruchlosigkeit des Vorgehens gegen politische Gegner und die krasse intellektuelle Faulheit. Interessanterweise landet McClellan, der das Buch sicher durch Anwälte prüfen lassen musste, bald an jenem Punkt, auf den sich auch Bugliosi konzentriert: Hat Bush die falschen Kriegsgründe vorsätzlich oder fahrlässig vorgetragen?

Was Bush um den Schlaf bringen könnte

Auch für den texanischen Republikaner sind die Fakten klar: Bush hatte zu Beginn des Krieges genügend Informationen, um zu beurteilen, dass der Irak keine Gefahr für die Vereinigten Staaten darstellte und in naher Zukunft nicht darstellen würde. Er hat aber, weil er den Krieg wollte, alle Tricks genutzt, um diesen Eindruck zu erwecken. McClellan liefert dann eilig, um Bush nicht explizit zu inkriminieren, eine Art Unzurechnungsverteidigung: Bush gehöre zu den Leuten, die sich selbst davon überzeugen können, ihre Meinung - McClellan sagt Instinkt - für die Wahrheit zu halten. McClellan und Bugliosi stimmen darin überein zu sagen, Bush habe gelogen, um den Krieg zu begründen. Bugliosi sieht darin ein strafrechtlich relevantes Vergehen, McClellan eine Art Pathologie: Der hat es eben selber geglaubt, was er da erzählt.

Dass jeder einzelne von Tausenden amerikanischer Staatsanwälte diese feine Linie einleuchtend findet, und zwar auch noch in einigen Jahren und Jahrzehnten, während neue Dokumente und Zeugenaussagen auftauchen, darauf gründet sich George W. Bushs einzige Hoffnung auf ruhigen Schlaf.


 
  
 
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