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Christophe Keckeis - Interview 4. Januar 2004, 18:47, NZZ am Sonntag


«Die autonome Verteidigung ist vorbei»

Korpskommandant Keckeis, Chef der Armee, setzt auf die junge Generation und auf neue Kampfjets

Seit dem 1. Januar 2004 ist die Armee XXI Realität. Der Chef der Armee, Christophe Keckeis, verficht die Devise «Sicherheit durch Kooperation» dezidiert.

NZZ am Sonntag: Sie haben zum Start der Armee XXI die Standarte von General Guisan erhalten. Was bedeutete dieser symbolische Akt für Sie?

Christophe Keckeis: Diese Fahnenübergabe wurde kurzfristig ins Programm des Start-Events eingebaut. Bundesrat Schmid hatte die Idee, mir Henri Guisans Standarte zu überreichen. Das war ein sehr emotionaler Augenblick für mich. Obschon ich als zukunftsorientierter Menschen gelte, stehe ich früheren Generationen und Traditionen respektvoll gegenüber.

Die Armee XXI ist Realität. Wann wird sie funktionsfähig sein?

Wir sind sofort gefordert. Schon im Januar steht die grösste operative Herausforderung des Jahres bevor. Zum Schutz des World Economic Forum sind 6500 Armeeangehörige aufgeboten. Daneben sind täglich 1200 bis 1400 Leute mit dem Schutz von Botschaften und der Grenze betraut.

Der Einsatz der Armee zwecks innerer Sicherheit ist ein heikles Unterfangen.

Ich stelle fest, dass die Akzeptanz für solche Einsätze steigend ist. Vor kurzem bereitete dies noch Mühe. Mittlerweile ist die Armee jedoch so oft subsidiär im Einsatz, dass Berührungsängste abgebaut worden sind. Wir müssen das vorhandene Potenzial an Know-how unbedingt nutzen, zumal das Volk ja die Armee bezahlt.

Risikolos sind solche Einsätze gleichwohl nicht. Schicken Sie Armeeangehörige gerne ans WEF?

Alle Einsätze werden sorgfältig geplant, und die Leute werden für ihre jeweilige Aufgabe ausgebildet. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Armee ihren Auftrag jeweils hundertprozentig erfüllen konnte.

Auch bei der militärischen Grundausbildung ist ab sofort vieles neu.

Ende März starten wir mit den neuen Rekrutenschulen. Ein Drittel der 24 000 Rekruten, die in diesem Jahr in die Armee eintreten, wird uns dann ausbildungsmässig stark fordern. Ich spüre eine hohe Erwartungshaltung. Das ist die Stunde der Wahrheit für die Armee XXI. Es muss gelingen, den ersten Eindruck positiv zu gestalten.

Ist die junge Generation überhaupt noch zu motivieren?

Die Jungen sind meine grosse Hoffnung! Sie haben Freude an der neuen, einsatzorientierten Armee. Die junge Generation will etwas Sinnvolles machen und sich nicht nur auf einen Verteidigungsfall vorbereiten, der auf absehbare Zeit nicht auftreten wird. Sie lässt sich für Einsätze begeistern, in deren Rahmen effektiv Sicherheit produziert wird.

Welchen Stellenwert haben die Frauen in der neuen Armee?

Neu können Frauen jedes Amt anstreben, bis hin zum Kampfpiloten oder zum Chef der Armee. Als einziger Unterschied bleibt das Prinzip der Freiwilligkeit. Ich hoffe, dass die Frauen die sich eröffnenden Chancen nutzen werden. Überall, wo sich Frauen engagieren, wird der Umgangston vernünftiger und fairer.

Soll die Freiwilligkeit für Frauen eingeschränkt werden?

Nein, das möchte ich nicht.

Hat die Armee XXI eine Achillesferse?

Der Trend bei den Finanzen macht mir grosse Sorgen. Die Armee XXI wurde zum Preis von 4,3 Milliarden Franken konzipiert. Seither haben sich die Rahmenbedingungen völlig geändert; die nächste Sparrunde steht bevor. Das heisst für uns, dass wir mit weniger Geld die gleichen Leistungen erbringen müssen. Daneben haben wir grossen Nachholbedarf bei den Führungsmitteln auf Stufe Armee.

Viele Verbände verschwinden, womit militärischer Korpsgeist verloren geht.

Ich spüre selber auch, dass die Leute in der jetzigen Umbruchphase verunsichert sind. Aber ich bin überzeugt, dass sich in den neuen Verbänden schnell wieder ein neuer Korpsgeist herausbilden wird. Es ist phantastisch, wie auch Ad-hoc-Verbände im Nu zusammenwachsen. Das ist eine grosse Stärke unserer Milizarmee.

Sie sagen, dass sich das Land nicht mehr autonom verteidigen lässt. Das hört man nicht überall gern.

Wenn man ehrlich ist, muss man das so sagen. Die Zeit der autonomen Verteidigung ist vorbei. Ich finde in Europa keinen militärischen Kameraden mehr, der nicht so denkt. Das sage ich, obschon ich weiss, dass viele Leute immer noch davon träumen.

Was heisst das in Bezug auf die Nato?

Die Nato ist nicht unser Weg. Ich bin aber trotzdem sehr interessiert, Nato-Standards zu übernehmen, weil das weltweit die einzigen Standards sind, die funktionieren. Die Armee XXI muss möglichst bald interoperabel werden. Hierzu müssen wir die Partnerschaft für den Frieden weiterpflegen. Nur so bleiben wir mit der Bibliothek der Nato auf Tuchfühlung.

Heisst das für Sie auch, dass die Armee verstärkt im Ausland auftreten soll?

Dieses Standbein ist mir ausgesprochen wichtig. Zurzeit sind wir in Kosovo Leistungserbringer. Dort können wir testen, ob unsere Arbeit tauglich und interoperabel ist. Das Armeeleitbild spricht von einem Bataillon, das im Ausland eingesetzt werden kann. Das entspricht einer Verdoppelung des heutigen Bestandes. Wenn es die Finanzen zulassen, möchte ich diese Vorgabe bis 2008 umsetzen.

Wie lange bleibt das Schweizer Kontingent noch auf dem Balkan stationiert?

Alle ranghohen Offiziere, die in Kosovo stationiert sind, prognostizieren, dass es noch mindestens zehn Jahre geht, bis sich auf dem Balkan der Frieden autonom weiterentwickeln kann. Der Auftrag unseres Parlaments ist vorerst bis 2005 terminiert. Ich bin überzeugt, dass es sinnvoller ist, wenn wir in Kosovo präsent sind, als wenn sich allfällige Folgewirkungen in die Schweiz verlagern.

Wollen Sie die Kooperation mit Europa auch im Rüstungsbereich intensivieren?

Ich bin ein Fan des europäischen Sicherheitsraumes. Deshalb werde ich alles tun, um die Helvetisierung von Rüstungsvorhaben auf ein Geleise zu bringen, das bezahlbar ist.

Als grosser Brocken steht die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges an.

Die Tiger-Flotte muss ersetzt werden. Das heisst, dass wir ab 2007 ein neues Flugzeug beschaffen müssen. Es muss 2010 einsatzbereit sein. Der Bedarf ist ausgewiesen, was uns nicht zuletzt der 11. September 2001 gezeigt hat. Ein Haus ohne Dach ist sinnlos.

Der Bund hat aber leere Kassen.

Es ist effektiv so, dass wir ein solches Rüstungsvorhaben wohl nur noch über besondere Programme finanzieren können. Denkbar ist, dass wir das neue Flugzeug in homöopathischen Dosen beschaffen. Ich schliesse nicht aus, dass wir pro Jahr 2 bis 4 Flugzeuge kaufen. Wenn das alle anderen Armeen machen, dann sollte das auch für die Schweiz möglich sein.

Was wünscht sich der Chef der Armee zum Jahreswechsel?

Dass sich der Spardruck, der auch die Armee schlimm trifft, möglichst bald stabilisiert.

Und was fordern Sie von sich selber?

Ich möchte mehr sein als scheinen und nicht durch meinen neuen Status brillieren, sondern durch Leistungen, welche die Armee erbringt.

Interview: René Zeller

Chef der Armee

Seit dem 1. Januar 2004 ist Korpskommandant Christophe Keckeis Chef der Armee. Diese Funktion ist ein Novum; bisher lastete die Verantwortung in Friedenszeiten stets auf den Schultern mehrerer hoher Offiziere. Der 58-jährige Keckeis, ehemaliger Militärpilot und stellvertretender Kommandant der Luftwaffe, führt in der Armee XXI die Teilstreitkräfte Heer und Luftwaffe, die höhere Kaderausbildung, die Logistikbasis, den Planungsstab und den Führungsstab. Seine Aufgabe ist mit dem in Kriegszeiten zu wählenden Oberbefehlshaber nicht identisch.

Kein Verzicht auf Rüstungsprogramm 2004

Verteidigungsminister Samuel Schmid will die Armee XXI trotz Spardruck modern ausrüsten. «Der Departementschef hat im Dezember beschlossen, dem Bundesrat im Februar 2004 ein Rüstungsprogramm vorzulegen», bestätigt VBS-Sprecher Martin Bühler. Noch in der Herbstsession hatte Schmid im Ständerat erwogen, 2004 eine Nullrunde einzuschalten. Nun will er trotzdem ein Rüstungsprogramm schnüren, das sich gemäss Bühler «auf 400 bis 700 Millionen Franken» belaufen wird.

Dieser Kostenrahmen ist vergleichbar mit den beiden letzten Jahren. Der Trend bei den Rüstungsausgaben ist aber klar rückläufig. In der Botschaft zum letztjährigen Beschaffungsprogramm konstatierte der Bundesrat, die Ausgaben für Armeematerial hätten seit 1990 real um fast 60 Prozent abgenommen. Zur Realisierung der Armee XXI auf einem mittleren Technologiegrad sei «das jetzige Finanzniveau nicht ausreichend». Notwendig seien jährliche Investitionen von über einer Milliarde Franken. Zum neuen Kampfflugzeug vermerkte der Bundesrat in der Botschaft zum Entlastungsprogramm 2003, der Investitionsbedarf betrage «gegen 3 Milliarden Franken». Das sei aus dem ordentlichen Armeebudget nicht mehr finanzierbar. (rz.)


 
  
 
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