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Die New York Times beschönigt Bushs Lügen über den Irak


Von Patrick Martin 22. Januar 2004 aus dem Englischen (15. Januar 2004)

Der Leitartikel der führenden amerikanischen Tageszeitung New York Times vom 11. Januar bringt den intellektuellen und moralischen Bankrott des Liberalismus im heutigen Amerika zutage. Er kommt einer Verschleierung der systematischen Lügen gleich, mit der die Bush-Regierung, die Republikaner und Demokraten im Kongress und die amerikanischen Medien die US-Invasion und die Besetzung des Irak rechtfertigen.

Die Beschönigungen der Times sind besonders abstoßend, weil sie in Form einer Kritik an der Vorbereitung und Führung des Kriegs durch die Bush-Regierung daherkommen. Es wird nicht an harten Worten gespart, um das Vorgehen des Weißen Hauses zu kommentieren: "unbedachte Eile bei der Invasion des Irak", "Besessenheit mit dem irakischen Diktator", "falsche Interpretation nachrichtendienstlicher Erkenntnisse", "nichts wurde gefunden".

Die zentrale Aussage der Times lautet, die Bush-Regierung sei Falschinformationen und Fehlurteilen aufgesessen, die sie zu einer "fehlerhaften Einschätzung hinsichtlich der Waffen verleitete". Das ist eine groteske Lüge. Bush, Cheney, Rumsfeld und Co. irrten sich nicht in der Frage der Massenvernichtungswaffen. Vielmehr stellten sie bewusst und mit Bedacht falsche Behauptungen über eine unmittelbare Bedrohung der Vereinigten Staaten durch den Irak auf, um dem amerikanischen Volk Angst einzujagen und sich über die weitverbreitete Opposition gegen die unprovozierte Invasion eines souveränen Staates hinwegzusetzen.

Es ist wohl kaum nötig, die massiven Beweise für die Lügen der USA über den Irak im Detail zu wiederholen. Die zentralen Behauptungen der Bush-Regierung über angebliche Massenvernichtungswaffen während der propagandistischen Vorbereitung des Kriegs vom September 2002 bis März 2003 sind vollkommen widerlegt worden, vielfach schon ehe der Krieg begann. Das Weiße Haus musste eingestehen, dass einer der Hauptvorwürfe, die Bush in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2003 erhoben hatte, dass der Irak nämlich versucht habe, Uran für die Herstellung von Atomwaffen in Afrika zu kaufen, unzutreffend war, und dass die US-Behörden wussten, dass er falsch war, als Bushs Redenschreiber ihm diese Worte in den Mund legten.

Hohe UN-Vertreter wie der Chef von UNMOVIC, Hans Blix, und Mohammed El Baradei, der Vorsitzende der Internationalen Atomenergieagentur, legten dem Sicherheitsrat mehrere Berichte vor, die dokumentierten, dass der Irak die Resolutionen im Großen und Ganzen befolgte, laut denen er seine Chemiewaffenbestände und seine rudimentären Bio- und Nuklearwaffenprogramme zerstören musste. Sie fanden keine Beweise, dass der Irak diese Programme wiederaufgenommen hätte, nachdem sie Anfang der neunziger Jahre wegen der UN-Sanktionen gestoppt worden waren.

Der ehemalige UN-Waffeninspekteur Scott Ritter entlarvte ebenso wie zahlreiche andere Experten die Politik, die schon auf die Clinton-Regierung und die erste Bush-Regierung zurückgeht und darin besteht, falsche Behauptungen über irakische Massenvernichtungswaffen aufzustellen, um das Fortbestehen der Wirtschaftssanktionen zu rechtfertigen, die bis zu 1,5 Millionen Irakern, die Hälfte von ihnen Kindern, das Leben gekostet haben.

Die Behauptungen über Massenvernichtungswaffen werden am klarsten durch die Tatsache widerlegt, dass die US-Truppen keines der riesigen Lager gefunden haben, in denen der Irak angeblich chemische und biologische Waffen - Hunderttausende Liter Giftstoffe und Hunderte Tonnen Chemiewaffen - hortete. Die zehnmonatige Suche durch 1.500 amerikanische Militärspezialisten hat nichts zu Tage gefördert außer ein paar Dokumenten über alte, längst aufgegebene Waffenprogramme.

Vergangene Woche wurde drei weitere Male bestätigt, dass die US-Regierung über die Massenvernichtungswaffen gelogen hat:

  • Die Bush-Regierung zog die letzten 400 Militärspezialisten zurück, die nach den Waffen gesucht hatten, und der Chef des Suchtrupps David Kay ließ wissen, dass er seinen Posten verlasse, ohne auch nur einen Abschlussbericht vorzulegen.

  • Die Washington Post veröffentlichte auf der Grundlage von Interviews mit führenden Mitgliedern des irakischen Regierungsrats und US-Militärs eine ausführliche Analyse, die zu dem Schluss kam, dass der Irak seine noch vorhandenen Chemiewaffen und Biogifte 1995 zerstört hatte (der Irak besaß niemals Atomwaffen und sein Atomprogramm wurde 1991 eingestellt).

  • Die Carnegie Endowment for International Peace [Internationale Carnegie Friedensstiftung], ein führender Think Tank des außenpolitischen Establishments der USA, veröffentlichte einen bissigen Bericht über den Umgang mit nachrichtendienstlichem Material über den Irak. Der Bericht warf der Bush-Regierung vor, von Mitte 2002 an systematisch übertriebene und verfälschte Darstellungen der militärischen Fähigkeiten des Irak gegeben zu haben, um das isolierte, hungernde Land als eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten hinstellen zu können.

Die Times zitiert diese Berichte - aber nur als Beweis, dass die US-Nachrichtendienste "auf tragische Weise unfähig waren, zutreffende Informationen über den Irak zu liefern". Der Leitartikel schließt dann mit der Forderung nach einer "unparteiischen Untersuchung, frei von politischem Druck durch das Weiße Haus oder den Kongress... um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, warum die Einschätzungen zum Irak so schrecklich falsch waren. Nichts kann verbessert werden, wenn wir nicht wissen, wie es passieren konnte."

Für die Times ist das alles ein großes Rätsel. Diese Erklärung ist nicht nur von intellektueller Unredlichkeit, sondern auch von direkter politischer Komplizenschaft geprägt.

Im Irak "passierte" Folgendes: Die US-Regierung beschloss, einen Aggressionskrieg zu führen, um die Kontrolle über die zweitgrößten Ölreserven der Welt zu erlangen, in Bagdad ein Marionettenregime zu installieren, und das US-Militär in einer strategischen Schlüsselposition im Nahen Osten zu platzieren. Die angemessene Reaktion darauf ist nicht eine "unparteiische Untersuchung" angeblicher Fehler, sondern ein Kriegsverbrechertribunal für Bush, Cheney und ihre Komplizen in der Regierung, der Wirtschaft und den Medien.

Die Ursprünge des Kriegs gegen den Irak liegen keineswegs im Dunkeln. Viele führende Personen in der Bush-Regierung - wie Rumsfeld, Wolfowitz, Douglas Feith, die Nummer drei im Pentagon, und andere - gehörten zu einer Gruppe rechter Strategen, die sich in den ganzen neunziger Jahren für eine Wiederaufnahme des Kriegs gegen den Irak einsetzten, der ihrer Meinung nach 1991 von Bush senior verfrüht abgebrochen worden war.

Als die Clinton-Regierung 1998 unter der Monica Lewinsky-Affäre wankte, verabschiedete der Kongress das Irak-Befreiungsgesetz, ein parteiübergreifendes Gesetz, das den Sturz Saddam Husseins zur offiziellen Politik der US-Regierung machte und 50 Millionen Dollar für US-unterstützte Frontorganisationen, wie den Irakischen Nationalrat von Achmed Chalabi, bewilligte. Clinton versuchte seine rechten Feinde mit einer Serie von Militärschlägen gegen den Irak zu beschwichtigen, deren Höhepunkt eine viertägige Bombardierung Bagdads auf dem Gipfelpunkt der Impeachment-Krise war.

Als Bush im Januar 2001 das Amt übernahm, war der Regimewechsel im Irak, wie Finanzminister Paul O'Neill diese Woche in einem Buch bestätigte, "Punkt 1" auf der Tagesordnung des Nationalen Sicherheitsrats, und Regierungsbeamte entwarfen Pläne für die Ersetzung der Baath-Regierung durch US-Marionetten und für die Aufteilung der Ölfelder. Damals sprach niemand über Massenvernichtungswaffen als einer tatsächlichen Bedrohung der USA - diese stellten lediglich einen möglichen Vorwand unter vielen für militärische Maßnahmen dar.

Ursprünglich glaubten das Weiße Haus und das Pentagon, der beste Vorwand für einen Krieg gegen Irak wäre das gelegentliche Abwehrfeuer der irakischen Armee gegen die Kampfflugzeuge, die in den Flugverbotszonen im Nord- und Südirak patrouillierten. Diese Zonen waren ohne jede Autorisierung durch eine Sicherheitsratsresolution einseitig von den USA und Großbritannien verhängt worden und wurden vom Irak nicht anerkannt. In den ersten Monaten 2001 tat die Bush-Regierung mehrmals so, als ob die irakischen Schüsse ins Blaue beim Überflug amerikanischer Kampfflugzeuge - von denen nie einer traf - eine kriegerische Handlung darstellten.

Dann kam der 11. September, und die Regierung hatte einen plausibleren Vorwand für einen Krieg. Ohne die Spur eines Beweises griffen Regierungsvertreter zu Hinweisen, Andeutungen, Unterstellungen und Vermutungen, um eine Verbindung zwischen dem Irak und Al-Qaida zu konstruieren - obwohl das säkulare Baathisten-Regime in Bagdad seit langem mit der islamisch-fundamentalistischen Al-Qaida verfeindet ist. (Der Bericht der Carnegie-Stiftung überhäuft diese Unterstellung mit besonders beißendem Spott.)

Die Bush-Regierung war mit dieser Kampagne zur Täuschung der amerikanischen Bevölkerung recht erfolgreich. Umfragen zeigten, dass etwa die Hälfte nicht nur glaubte, Saddam Hussein sei für die Angriffe vom 11. September verantwortlich, sondern auch, die meisten Flugzeugentführer seien Iraker.

Diese Lügenkampagne der Regierung hatte die unentbehrliche Unterstützung der amerikanischen Medien. Die New York Times hat trotz ihrer Zweifel an der Durchführbarkeit einer einseitigen amerikanischen Eroberung des Irak eine zentrale Rolle in dieser Medienkampagne gespielt. Sie griff die Flut von Fälschungen aus dem Weißen Haus und dem Pentagon nicht an und wurde selbst zu einem Rad im Getriebe, besonders durch die Berichte von Judith Miller, einer Times -Reporterin, die als wichtiges Sprachrohr für gefälschte Meldungen über irakische Massenvernichtungswaffen diente. Miller arbeitete auch als eingebettete Korrespondentin und suchte mit den militärischen Suchteams im Nachkriegsirak nach Waffenlagern.

Der US-Krieg gegen den Irak war nicht das Produkt fehlerhafter Geheimdienstinformationen, sondern das Ergebnis eines kolossalen Versagens der amerikanischen Demokratie. Die Bush-Regierung brach absichtlich einen Aggressionskrieg vom Zaun. Der Kongress verabschiedete eine Resolution, mit der er Bush freie Hand für den Krieg gab, und die meisten führenden Demokraten unterstützten sie. Die Medien plapperten die Lügen der Regierung eilfertig nach und ließen den Irak als eine tödliche Bedrohung für das amerikanische Volk erscheinen.

Alle Säulen des politischen Establishments der USA - die Regierung, beide Parteien des Kongresses und die von Wirtschaftsinteressen kontrollierten Medien - versuchten die verbreitete Opposition in der Bevölkerung zu unterdrücken und einzuschüchtern, die ihren Ausdruck in den Demonstrationen vom Februar letzten Jahres fand, an denen in den USA und weltweit Millionen teilnahmen.

Diese Haltung setzt sich bis zum heutigen Tage fort. In der herrschenden Elite herrscht Übereinstimmung darüber, dass sich die Vereinigten Staaten ungeachtet der politischen Differenzen vor dem Krieg nicht aus dem Irak zurückziehen können und dass sie den wachsenden Widerstand der irakischen Bevölkerung mit militärischen Mitteln unterdrücken müssen.


 
  
 
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