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Bionisches Auge statt Brille


Lesebrille ade: Wenn es nach Mohsen Shahinpoor von der University of New Mexico (UNM) geht, könnten wir bald auf Lesebrillen verzichten:

Durch das Implantat künstlicher Augenmuskeln, die den Augapfel umschließen und durch sanften Druck mikrometergenau formen, können Sehschwächen wie Kurz- oder Weitsichtigkeit ausgeglichen werden.

Das so genannte "Smart Eye Band" justiert die Form des Augapfels nach, um die durch Hornhaut, Pupille und Augenlinse auf die Sinneszellen der Retina im hinteren Teil des Auges eintreffenden Lichtstrahlen korrekt zu fokussieren.

Entwickelt wurde es am Artificial Muscles Research Institute (AMRI) der Uni aus ionisierten Polymeren und Edelmetallen, die über ein Formengedächtnis verfügen.

Materialien mit Formengedächtnis, so genannte Gedächtnismetalle, sind seit Anfang der 60er Jahre bekannt, werden aber erst in jüngster Zeit für immer mehr Anwendungen entdeckt. Eines der wahrscheinlich bekanntesten Beispiele des Vorjahres war ein Hemd italienischer Designer, das seine Ärmel bei Wärme von selbst hochkrempelt.

Künstliche Muskeln aus Metall

Die intelligenten Metalllegierungen werden zumindest mit zwei Formen oder Zuständen geprägt, zwischen denen sie selbstständig wechseln, wenn sie den entsprechenden Impuls dazu bekommen, der aus Temperaturunterschieden oder verschiedenen elektrischen Ladungen oder unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen bestehen kann.

Nitinol-Drähte etwa, aus einer Nickel-Titan Legierung geformt, lassen sich bei niedriger Temperatur in jede gewünschte Form biegen, die bei kurzer Erhitzung wieder in die ursprüngliche Position zurückkehren.

Weil der Wechsel zwischen den einzelnen Zuständen ohne jede Materialermüdung und auch sehr kraftvoll funktioniert - am AMRI wurde etwa das 42-fache Gewicht des flexiblen Metallträgers angehoben - werden Gedächtnismetalle zunehmend als künstliche Muskeln oder mechanischer Antrieb "ohne Sprit" genutzt.

Als automatischer Verschlussmechanismus hochsensibler Ventile und Kameraobjektive werden sie an Bord der NASA Mars-Rover zum Roten Planeten hochgeschickt, die Navy entwickelt daraus einen geräuschlosen Flossen-ähnlichen Antrieb für U-Boote und in der Medizin gibt es bereits die ersten Prototypen künstlicher Herzklappen.

Auge wird zur elektromagnetisch gesteuerten Lupe

An der UNM entwickelt das Ingenieursteam um Shahinpoor ionisierte Polymer-Metalle (IPMCs) und Halbleiter Kunststoffe (IPCCs), die ebenfalls ein Formengedächtnis haben und darüberhinaus biokompatibel sind, sich also ohne Abstoßungsreaktionen in den menschlichen Körper implantieren lassen.

IPCCs oder auch elektroaktive Polymere sind ein noch junges Forschungsfeld, haben aber bereits so spektakuläre Anwendungen gefunden wie den Schuh, der beim Laufen Energie erzeugt.

Bei dem "bionischen Auge" des gebürtigen Iraners wird das Kunststoffmaterial zu hauchdünnen, ringförmigen "Muskeln" geformt, die relativ einfach in die Lederhaut um den Augapfel zu implantieren sind. Das Polymer wird von einer Spule hauchdünner, stromleitender Golddrähte ummantelt, an deren Enden zwei Elektroden sitzen.

Wird auf Knopfdruck von einem kleinen Elektromagneten hinter dem Ohr des Trägers ein schwaches magnetisches Feld aufgebaut, geht ein elektrischer Impuls durch die Spule. Positiv aufgeladene Lithiumionen im Polymer werden dabei zur negativ geladenen Elektrode gezogen und veranlassen ein Zusammenziehen des Polymer-Bandes an beiden Seiten des Augapfels, der dadurch länger wird.

Scharfsehen auf Knopfdruck

Je näher ein Objekt am Betrachter liegt, umso weiter hinten im Auge liegt der Brennpunkt der eintreffen Lichtstrahlen auf der Netzhaut. Bei weitsichtigen Menschen etwa, eine häufige Alterserscheinung (Astigmatismus), hat sich der Brennpunkt noch weiter nach hinten verschoben und nahe Objekte werden nur unscharf wahrgenommen.

Wird das Auge länger, stimmt die Justierung wieder. Wird hingegen der Druck von den Bändern genommen, können weiter entfernte Objekte schärfer wahrgenommen werden.

Im umgekehrten Falle können natürlich auch Nachtblinde und Kurzsichtige von einer Erweiterung des Augapfels profitieren. Dieser Fokussierungsprozess wird derzeit noch von Augengläsern vorgenommen, könnte jedoch künftig vom Auge selbst erledigt werden.

Der Träger des bionisches Auges könnte "per Knopfdruck" jederzeit zwischen zuvor individuell bestimmten Einstellungen wählen, etwa um mit dem Auto zu fahren, zu lesen oder Nachts besser zu sehen.

Weitere Vorteile wären auch bei Problemen mit dem Augen-Innendruck gegeben, gefürchtete Folgeerkrankungen wie der graue oder grüne Star, die zur völligen Blindheit führen können, wären behandelbar. Und im Gegensatz zu Augenoperationen mit modernsten Optik-Lasern, welche die Hornhaut dauerhaft zurechtschleifen, kann das Implantat nachjustiert oder sogar wieder entfernt werden.

Die Technologie ist zwar noch im Teststadium - sie muss auf Zehntel-Dioptrin genau einstellbar sein und darf nicht von Störfaktören manipuliert werden, wie etwa einem ans Ohr gehaltene Handy - wird aber bereits von etlichen unabhängigen Wissenschaftlern als revolutionär bezeichnet und könnte laut Shahinpoors Aussage in New Scientist bereits in drei bis fünf Jahren auf den Markt kommen.


 

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